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Nicht Totzukriegen

Titel: Nicht Totzukriegen
Autoren: Claus Vaske
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nicht, auf mich anzulegen. Die Richterin steht auf, sie hebt beschwichtigend die Arme, um mich zu beruhigen. Der Häkelmütze fallen vor Schreck sämtliche Unterlagen aus der Hand. Nur Maryam hält sich mal wieder an gar nichts, typisch! Sie stürzt auf mich zu und brüllt wie von Sinnen: »Nicht!«
    Welche Alternativen habe ich? Flüchten? Wozu, wohin? Ich könnte Maryam erschießen und mir endlich eine Anwältin suchen, die das macht, was ich sage; oder den Killer, weil er an allem schuld ist, und Leute mit Ordnungsfimmel gehen mir sowieso auf den Senkel. Aber das ist alles Quatsch. Nein, es gibt nur diesen einen Ausweg: Wenn Tom nicht zu mir kommen kann, dann komme ich eben zu ihm.
    Ich halte mir die Waffe an den Kopf und drücke ab.
    Whooooaaaa … Sind das Schmerzen! Dagegen ist jede Migräne Kinderkram, mir zerspringt fast der Schädel, tut er ja auch wirklich. Irgendwas klirrt oder scheppert, das höre ich noch. Ich spüre schon meine Fingerspitzen nicht mehr, von den Händen und Füßen her beginnt die Taubheit durch meinen Körper zu kriechen, mir wird schwarz vor Aug–
     
    Aha, so ist es also, tot zu sein, ich komm mir vor, als würde ich in einem gigantischen, warmen Wasserfass treiben, herrlich entspannend ist das, ich fühle mich federleicht, alles ist voller Frieden und Harmonie. Langsam kehrt auch Licht ins Dunkel zurück, aber noch trau ich mich nicht, die Augen aufzumachen, ich habe Angst: Wo bin ich und in welcher Gestalt? Wer weiß, vielleicht stimmen die Geschichten von Seelenwanderung und Wiedergeburt, dann habe ich verdammt schlechte Karten, denn dann dürfte ich nach all dem, was ich mir in meinem vorherigen Leben geleistet habe, bestenfalls als Kakerlake wieder auf die Welt kommen, vielleicht auch als armes, gequältes Huhn in einer Legebatterie oder, noch schlimmer, als dieses alberne Schoßhündchen in der Tasche von Paris Hilton. Oder ich komm zurück und seh einfach nur scheiße aus.
    Aber da sind auch Stimmen. Wem mögen sie gehören? Engeln vielleicht oder anderen armen Seelen, die sich mit mir auf den weiten Weg ins Reich der Toten begeben haben. Aber warum sind sie so aufgeregt? Ich hatte mir immer vorgestellt, im Jenseits würde es friedlich zugehen, erwartet hätte ich Sphärenmusik oder Harfen, aber doch nicht so einen Radau. Sind das etwa schon die Kammerjäger, die mich als Kakerlake ausradieren wollen?
    Bin ich gar nicht tot? Oder nicht mehr? Und wer ist das neben mir, der meine Hand festhält? Habe ich geschlafen, war alles nur ein Traum? Merkwürdig.
    Eine der Stimmen kenne ich. Sie gehört der Richterin. Habe ich sie etwa aus Versehen auch getroffen, und nun begleitet sie mich auf meiner Reise ins Jenseits? Das wird nicht angenehm werden, denn dann ist sie bestimmt nicht gut auf mich zu sprechen.
    »Der Herr dort vorn im Sakko«, bellt sie, »wer sind Sie?«
    »Mein Name ist Tom Krafft, ich bin Nicoles Mann.«
    Ist es wahr?
    Keine Mozart-Symphonie, kein »Ich liebe dich«, nicht mal ein »Natürlich ist der Diamant echt« könnten schöner klingen; es ist das Wunderbarste, was ich je gehört habe. Ich mach die Augen auf, und da muss ich auch schon »Vorsicht!« brüllen, denn die Statue über der Richterin ist bedrohlich ins Kippeln geraten. Das also war das Klirren vorhin: Die Kugel hat Justitia erwischt, ein tödlicher Treffer! Die Richterin kann gerade noch zur Seite springen, bevor sie herunterfällt und direkt neben ihr auf dem Boden zerschellt.
    Vorsichtig schiebt die Richterin mit dem Schuh die Scherben zusammen. »Mit dem Schuss haben Sie sich endgültig als Mörderin disqualifiziert«, kommentiert sie trocken.
    Alles egal. Das Wunderbarste ist: Neben mir steht Tom. Mein Tom! Wir leben!
    Maryam fällt, als sie das bewusst realisiert hat, ansatzlos in Ohnmacht, ihre Knie versagen, sie sackt nach hinten weg. Kann ich verstehen, kenne ich, der Anblick einer wandelnden Leiche kann einen ganz schön aus den Socken hauen, zumindest beim ersten Mal. Zum Glück ist Häkelmütze bei ihr und fängt sie auf.
    Der ganze Gerichtssaal ist in Aufruhr, alle tuscheln und reden. Die Richterin drischt mit dem Hammer auf ihr Pult ein: »Ruhe bitte, Ruhe!« Vergebens. Den Tumult möchte der Cousin nutzen, um sich mal wieder unauffällig aus dem Staub zu machen, er läuft ein paar Schritte Richtung Ausgang, bleibt aber mit dem Fuß an einem Stuhlbein hängen – und mit gefesselten Händen legt man sich so unglaublich schmerzhaft auf die Klappe! Der Cousin kann den Sturz nicht abfangen,
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