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Nicht Totzukriegen

Titel: Nicht Totzukriegen
Autoren: Claus Vaske
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Abschiedsbrief über irgendwelche komischen Fotos bis hin zu Geschäftlichem. Ich schüttle das Kuvert, bis zwei Eintrittskarten hervorlugen, ziehe sie heraus, schaue drauf.
    Das ist nicht wahr!
    Zwei Tickets für das Schlusskonzert des Rhenum-Musikfestivals. In Schloss Mariengarten, im Innenhof dieses zauberhaften Barock-Kleinods oberhalb des Rheintals, mit Abschlussball, das Klassik-Highlight des Jahres. Wer spielt? Lang Lang? Welches Orchester? Immer schon wollte ich da hin, nur hat Tom sich bisher hartnäckigst dagegen gesträubt. An alles hat er gedacht, inklusive einer reservierten Suite im benachbarten Romantikhotel, mit Blick auf den Fluss und die Weinberge und einer Extraflasche Champagner for free. Ein Traum. Ich umarme ihn, küsse ihn, stammle mir ein »Danke« ab. So schnell habe ich noch nie meine Würde verloren. Dieser wunderwunderbare Mistkerl. Ich liebe ihn!
    »Ich wollte es dir gestern schon geben, aber das … war wohl nicht ganz passend.«
    Öhm. Moment. Wie jetzt? Hatte er den Hochzeitstag vergessen oder nicht? Und wenn er so ein Supergeschenk vorbereitet hatte, warum kommt er dann nicht einfach pünktlich? Nein, das ist nicht schlüssig. Er will mich mit dem Geschenk von einem Fehltritt ablenken, so sieht’s doch aus.
    »Aber wo
warst du
gestern?«
    Im Jahr 373 vor Christus wurde am Golf von Korinth das antike Helike, zu jener Zeit eine der mächtigsten Städte Griechenlands, von einem Erdbeben zerstört. Erst stürzten die Gebäude zusammen, dann überschwemmte eine riesige Flutwelle die Stadt, finito, das war’s. Es blieben nicht mal genug Trümmerchen übrig, um urlaubenden deutschen Studienräten ein paar Euro für die Besichtigung abzuknöpfen. Überliefert hat die Katastrophe der griechische Geschichtsschreiber Diodorus Siculus. Bei ihm liest man auch erstmals von einem seltsamen Phänomen, von Vorzeichen der Natur, die einem Beben vorausgehen: Fünf Tage zuvor habe ein Zug von Ratten, Schlangen und Käfern die Stadt verlassen.
    Auch MacLeod ist so ein Tier, das schwere Beben erahnen kann: Als ich den ersten Teller auf dem Boden zerschmettere, hat er längst mit eingekniffenem Schwanz das Weite gesucht. Die erste Schockwelle rollt heran.

9
    Während neben mir Tom glückselig wie ein Baby zu schlummern scheint, liege ich Idiot noch wach und zermartre mir das Hirn.
    Tu ich ihm unrecht? War es vielleicht nur ein Ausrutscher? Ist so was nicht normal nach sieben Jahren Ehe? Und wenn eine Jüngere ihn anflirtet, welcher Mann kann da schon widerstehen? Liegt es an mir, biete ich ihm nicht mehr genug? Ist Botox eine Lösung? Was machen andere Frauen in meiner Lage: sich einen Therapeuten suchen, Nordic walken, die Tiefkühltruhe nach Feng-Shui-Prinzip neu einräumen?
    Kann ich ohne Tom leben? Wenn alles andere stimmt, sollte ich es dann in Kauf nehmen, wenn er sich mal woanders vergnügt? Ist doch nur Sex. Vielleicht muss ich es einfach aushalten. Und irgendwann, ganz spät, als es draußen schon hell wird und die Vögel zwitschern, frage ich mich: Nicole –
hast du sie noch alle?

10
    Eine Stunde später als sonst treffe ich in der Agentur ein. Gleitzeit hin, Gleitzeit her – das geht nicht. Aber soll ich ausgerechnet meinem Chef sagen: »Sorry, ich hab zu Hause Probleme mit deinem Kumpel!«?
    Also schleiche ich so unauffällig wie möglich in mein Büro, eine Veranstaltung zur Markteinführung eines neuen Mineralwassers steht an, so viel weiß ich, aber ich habe keine Ahnung, wie ich das heute erledigen soll. Die Notizen liegen bereit, ich fahre den PC hoch und nehme die Sonnenbrille ab, die bisher das Desaster meiner Augen verdeckt hat. Müde bin ich, mies drauf, und ich fühle mich wie ein schimmliges Stück Käse, einfach zum Wegwerfen.
    Reiß dich zusammen, Nicole. Benimm dich nicht wie eine hilflose Göre. Und finde vor allem raus, wer diese Yvonne ist. Irgendwie.
    Kaffee fehlt, vielleicht komme ich damit auf Betriebstemperatur.
    Fünf Minuten später bin ich mit einem Espresso doppio, so hammerhart, dass er mich vom ersten Schluck an in einen arbeitswütigen Zombie verwandeln wird, auf dem Weg zurück zu meiner Markteinführung, als Johannes mich abfängt und in sein Büro bittet: »Nicole, können wir kurz sprechen?«
    »Klar, was ist?« Irgendwas schiefgelaufen?
    »Ich möchte dir unsere neue Junior-Projektleiterin vorstellen.«
    Muss das jetzt sein? Sie ist die dritte Junior
irgendwas
in diesem Geschäftsjahr, ihre Vorgängerin hat es vorgezogen zu gehen, nachdem auch eine
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