Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neva: Tag der Befreiung

Neva: Tag der Befreiung

Titel: Neva: Tag der Befreiung
Autoren: Sara Grant
Vom Netzwerk:
ihr eine Strähne hinters Ohr und glättete sie. Wieder und wieder. Ruth konnte sich nicht entscheiden, ob sie das unheimlich finden sollte oder nett.
    »Ich weiß nicht. Du hast etwas.«
    Sie schob seine Hand weg. »Ja. Lila Haare.« Sie versuchte zu lachen, aber es klang verlegen.
    »Ich weiß nicht, was genau, aber ich werde es schon noch herausfinden.« Er wandte sich von ihr ab und wieder der Bühne zu. Langsam ließ er die Ketten herab. »Hast du Lust, dich später mit mir zu treffen?«
    Ruths Inneres verkrampfte sich in einer Mischung aus Entsetzen und Aufregung; es fühlte sich an wie bei einer Achterbahnfahrt. Es war nicht das erste Mal, dass sich jemand mit ihr verabreden wollte, aber bisher hatten nur Jungen aus der Schule sie gefragt. Jungs, die sie schon kannte, seit sie klein gewesen waren. Jungs, die sich immer mehr ähnelten, weil sie die gleichen Kleider trugen, über die gleichen Witze lachten, die gleichen Geschichten erzählten. Sie erschienen ihr austauschbar und unendlich langweilig. Aber dieser Junge mit den vielen Anhängern war anders. Frisch. Er schien voller Möglichkeiten.
    Und so zuckte sie die Achseln. »Klar.«
    »Dann komm zum Sonnenuntergang an die Brücke am Uhrenturm.« Er rasselte noch ein paarmal mit den Ketten, dann verließ er den Platz wie all die anderen, die das Fundament von Heimatland bildeten.
    John sang den letzten Namen, und die Musik schwoll zu einem Crescendo an. Die Härchen in Ruths Nacken richteten sich auf. Dann schien die Luft in einer Art lautloser Explosion zu erbeben, und es regnete weiße Rosenblätter. Ruth liebte diesen Teil der Zeremonie, obwohl sie selbst kein Blatt hatte, das sie loslassen konnte, aber sie genoss den Rosenduft, der die Atmosphäre durchzog, und den sanften Kuss der Blätter, die taumelnd herabfielen. Sie schloss die Augen, hob das Gesicht in den Blätterregen und stellte sich vor, es seien Schneeflocken, jede einzigartig, jede wunderschön, jede makellos.
    Dann winkte sie ihren Freundinnen zu; sie konnte sie leicht ausmachen. Ihr rotes, orangefarbenes und grünes Haar war mit weißen Blättern gesprenkelt. Auch Will hatte Unmengen an Blütenblättern in den Armen. Er hatte einen Platz an der Bühne gefunden, stand jedoch am Boden. Sie begegnete seinem Blick. Er lächelte nicht, und sein Gesicht strahlte nicht wie das von John, dem Sänger. Auf den ersten Blick war nichts an ihm, was ihn hervorhob, doch wenn man näher hinsah, konnte man es wahrnehmen. In seinem stolz erhobenen Kinn. In seiner breiten Brust. Der Art, wie er den Kopf hielt, und der eisernen Entschlossenheit in seinem Blick. Ja, auch er hatte etwas Besonderes.
    Und immer wenn Ruth ihrer Enkelin Neva Jahre später erzählte, wie sie ihren Großvater kennengelernt hatte, sagte sie zum Schluss: »In diesem Moment wusste ich ganz genau, dass dieser Junge mein Leben verändern würde. Er hat mich an jenem Tag gerettet, und das tat er von da an ständig.«

Widerstand
    »Sie sind hier.« Das Flüstern raschelt wie trockene Blätter in der Nachtluft. Die Botschaft pulsiert vielstimmig, und das Maisfeld wird lebendig. Was getarnt war, nimmt menschliche Gestalt an. Jacks Lider fliegen auf. Das Adrenalin reißt ihn in einem Sekundenbruchteil vom Schlaf in den Wachzustand.
    »Jill«, flüstert er und tastet nach ihr, aber seine Finger fühlen nur rissige Erdschollen. Er rollt sich herum zu der Stelle, wo sie vor wenigen Stunden noch gelegen hat. Sie hatten sich zueinandergebeugt, die Gesichter durch die Maisstengel gepresst, als seien es Gitterstäbe, und sich einen Gute-Nacht-Kuss gegeben.
    Suchscheinwerfer gleiten über das Feld hinweg. Er hört das Hämmern schwerer Schritte, als die Polizei das Feld einebnet. Jack ahnt intuitiv, welchen Fluchtweg Jill eingeschlagen hat. Die Polizei steht wahrscheinlich auf ihren Transportern, um das Feld besser überblicken zu können; jede Bewegung wird leicht auszumachen sein. Jill hat nicht gelernt, wie man sich geduckt durch die Rinnen bewegt. Die Polizei wird sie so leicht verfolgen können, wie man einem Fisch an der Angel folgen kann.
    In einer einzigen fließenden Bewegung packt Jack den Rucksack und beginnt, durch die hohen Stengel zu kriechen. Er hat keine Angst. Hier gibt es nichts, was die Polizei ihm nehmen könnte. Sie können nichts mit ihm anstellen, was sie nicht bereits versucht haben.
    Er bewegt sich behutsam, um weder Stengel zu bewegen noch Staub aufzuwirbeln. Er kommt nur langsam voran, aber er hat diese Flucht im Geist schon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher