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Neva: Tag der Befreiung

Neva: Tag der Befreiung

Titel: Neva: Tag der Befreiung
Autoren: Sara Grant
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Blut bis in den Haaransatz. »Gut, dass du und Jill es auch geschafft habt. Hätte dich in der Uniform fast nicht erkannt. Du musst mir mal sagen, wo man so was herkriegt.« Er lacht und klopft Jack auf den Rücken.
    Jack lächelt, sieht aber weg. Er wird bestimmt niemandem sagen, woher er die Polizeiuniform hat. Er mag es sich nicht einmal selbst eingestehen. Es war passiert, nachdem er von der Gemeindefarm entlassen worden war. Seine dort antrainierten Muskeln schienen sich permanent nach einem Kampf zu sehnen. Ein Polizist erwischte ihn, als er eine Überwachungskamera zerschmetterte, und es war klar, dass er ihn wieder auf die Farm zurückschicken würde. Das Nächste, an das Jack sich erinnern kann, ist, wie der Mann leblos vor ihm am Boden liegt. Eine rote Pfütze bildete sich unter seinem Kopf, als hätte man einen Cocktail verschüttet. Jack hatte ungefähr dieselbe Größe und dieselbe Statur wie der Officer, und in dem Moment keimte die Idee in ihm: Als einer von ihnen konnte er sich fast unsichtbar machen. Nun trägt er die Uniform immer in Situationen wie diesen, aber auch, um sich fortwährend in Erinnerung zu rufen, was er getan hat, um am Leben zu bleiben.
    »Jack. Jack?« Jill hat seinen Namen anscheinend schon öfter gerufen. Jack kehrt ins Jetzt zurück. »Sollten wir nicht in Bewegung bleiben?« Ihre zitternden Finger zupfen an einem losen Fädchen ihres Hemds. Der Saum ribbelt auf, und sie scheint erstaunt, dass sie immer mehr Faden in der Hand hat, je mehr sie zieht.
    Jack reiß den Faden mit einem Ruck ab, lässt das kleine Knäuel in den Dreck fallen und tritt drauf, so dass aus Weiß ein schmutziges Braun wird.
    »Tja, unser kleines Feuerwerk müssen wir wohl absagen«, flüsterte Rich Jack zu. »Ich hatte keine Möglichkeit mehr, unsere Vorräte zu holen. Du?«
    »Ich hatte Glück, dass ich überhaupt rausgekommen bin.« Er blickte zum Wald jenseits der Schienen. »Vielleicht hat es Billy oder Lara geschafft.«
    »Ja, vielleicht.« Rich tritt in den Staub. »Zwei Monate Arbeit …«
    »Wenigstens wissen wir jetzt, wie es geht«, sagte Jack. »Wir versuchen es einfach nochmal.« Sie hatten sechs Feuerwerksraketen gebaut, die sie zur Feier am Befreiungstag gegen die Protektosphäre hatten abfeuern wollen.
    »Na ja, eigentlich bin ich hier fertig, Jack. Ich muss aus der Stadt raus.« Er zieht Carley an sich. Sie lächeln sich an, und Rich legt ihr schützend die Hand auf den Bauch. »Wir gehen rauf in den Norden.«
    »Oh, Mann, nicht ihr zwei auch noch«, sagt Jack und weicht zurück.
    »Das war auch ursprünglich nicht geplant. Aber wir müssen hier weg. Wenn man uns erwischt, schickt man uns auf Gemeindefarmen, aber das Baby nehmen sie uns ab, das weißt du.«
    »Tja, ich freu mich für euch«, sagt Jack, aber es klingt tonlos. Er hat seine Mutter und fast alle Freunde durch Geburten verloren. Seine Mutter starb im Kindbett, als sie das Mädchen auf die Welt brachte, das seine zweite Schwester geworden wäre, und so viele seiner Freunde hatten aufgegeben, Familien gegründet und waren so zum Feind übergelaufen.
    »Warum kommt du und Jill nicht einfach mit uns?«, fragt Rich.
    »Du solltest wirklich gehen«, sagt Jack zu Jill, denn er weiß, dass sie es ohnehin tut. Und in gewisser Hinsicht wünscht auch er sich, einfach verschwinden zu können. Aber das geht nicht. Er muss in den zerfaserten Randgebieten der Hauptstadt bleiben.
    Er nimmt Jills schmales Gesicht in beide Hände. Alles, was einzigartig an ihr gewesen ist, verblasst. Es liegt nicht sosehr an ihrer bleichen Haut oder den schwammigen Zügen, sondern an dem angstvollen Zucken ihrer Lippen, der stumpfen Verzweiflung in ihren Augen.
    Jack zieht sie zu sich und küsst sie. Sie ist überrascht – die Augen sind offen, die Lippen zusammengepresst. Sie versucht, den Kuss zu erwidern, aber sie schafft es nicht, sich auf seinen Rhythmus einzustimmen. Und so ist seine Liebkosung eher ein Angriff, sein Arm um ihre Taille wie ein Gurt, der sie zurückhält. Als er sie loslässt, glitzern Tränen in ihren Augen. Er spürt ein Glimmen in sich, doch die Empfindung ist schon wieder fort, bevor er sie fassen kann.
    »Ich heiße übrigens in Wirklichkeit Jennifer«, flüstert sie ihm ins Ohr. Sie fährt ihm mit den Fingern durch sein feuchtes Haar. »Vielleicht sehen wir uns ja noch mal wieder …« Sie hält inne, und was sie will, ist eindeutig.
    Er tritt einen Schritt zurück und streicht sich das Haar wieder glatt. Weder ihr noch sonst einem
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