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Neva: Tag der Befreiung

Neva: Tag der Befreiung

Titel: Neva: Tag der Befreiung
Autoren: Sara Grant
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Mädchen wird er seinen wahren Namen preisgeben. Er ist das Einzige, was ihm ganz allein gehört. »Immer noch Jack«, sagt er, aber er weiß, dass sie weiß, dass er lügt.
    Jack sieht zu, wie Rich, Carley und Jennifer durch die Bäume auf die aufgehende Sonne zugehen. Ein passender Anfang für die drei. Die Luft um sie herum scheint zu leuchten. Er würde gerne etwas empfinden, aber er tut es nicht, nicht mehr. Er hat zu viele Freunde verloren. Jennifer blickt zurück und deutet ein Winken an. Jack spürt in sich hinein, ganz tief, hofft auf einen kleinen Stich, irgendetwas, aber er fühlt sich so finster wie die unterirdischen Gänge unter Heimatland, die er so gut kennt. Er sieht ihnen nach, bis sie im Wald verschwunden sind.
    Dann holt er die Canvas-Tasche, die er vor Wochen unter einem Steinhaufen versteckt hat. Darin befindet sich alles, was er für einen Neustart braucht. Ein ausgeblichenes schwarz-rotes Flanellhemd verbirgt die Uniform. Er setzt eine zerschlissene grüne Kappe auf, von deren längst vergessenem Logo nur noch das »O« und das »e« übrig ist. Am Boden der Tasche ertasten seine Finger eine selbstgedrehte Zigarette. Er steckt sie sich zwischen die Lippen, zündet sie an und saugt Hitze und den scharfen Tabakgeschmack ein. Ein ach so kleines Vergnügen. Er und Rich haben den Tabak von einer verlassenen Parzelle außerhalb der Stadt geklaut.
    Jack atmet den Rauch aus, und er hängt wie eine Wolke in der Luft. Er steht vor dem Tunneleingang, inhaliert tief und hält das Nikotin in seinen Lungen, bis sie brennen.
    Dann zermalmt er die Kippe unter seinem Absatz und betritt den Tunnel. Je weiter er hineingeht, umso weniger kommt es ihm so vor, als würde draußen überhaupt noch etwas existieren. Generationen von Rebellen haben unter der Stadt ein Labyrinth erschaffen. Es hat eine Zeit gegeben, in der er einundzwanzig Tage im Monat unter der Erde gelebt hatte. Er war gerade seinen Pflegeeltern entkommen. Ein Bursche, der sich selbst Maulwurf nannte, hatte ihm gezeigt, wie man sich in dem Gewirr aus Gängen zurechtfand. Dies ist einer der wenigen Orte, an denen Jack sich sicher fühlt: Hier gibt es tausend Verstecke und mehrere geheime Zugänge zu der zerfallenen Stadt über ihnen. Jack sieht ein Flackern, als er an einem Gang vorbeikommt, doch er bewegt sich weiter voran.
    Das Tintenschwarz im Inneren lichtet sich zu Grau. »Hey«, flüstert jemand. Er sieht die Schatten an der Wand tanzen und weiß, dass die Person hinter ihm eine Fackel trägt. »Wo geht’s raus?«
    Jack macht sich nicht die Mühe, sich umzublicken. Er hat kein Bedürfnis, sich einem Fremden gegenüberzusehen, der mit dem feinen schwarzen Staub des Untergrunds überzogen ist. Er will niemandem in die Augen sehen, nur um festzustellen, dass auch er einer ist, der gerettet werden muss.
    »Da entlang«, sagt Jack und zeigt in die Richtung, aus der er gekommen ist. »Halte die linke Hand an der Wand. Die zweite links und dann geradeaus bis zum Tageslicht.«
    »Danke«, sagt die Stimme. Jack hört das leise Schlurfen müder Sohlen auf felsigem Grund. Er wendet sich um, und drei Gestalten schälen sich aus dem Dämmerlicht. Die Umrisse eines menschlichen Ws: Ein Kind zwischen seinen Eltern, die es in ihrer Mitte an den Händen halten. Familien sieht man hier nicht so häufig. Er verringert sein Tempo. Vielleicht könnte ich …
    Er erstickt den Gedanken, bevor er seine Meinung ändern kann. Rennt weiter in die Dunkelheit. Er ist froh, als ein Lichtschimmer in Sicht kommt, der den Zugang eines anderen Tunnels markiert. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die Schatten nicht auch noch Swap erwischt haben. Behutsam schiebt er sich an der Wand entlang, bis er um die Ecke spähen kann. Der Raum scheint im Licht der vielen handgezogenen Kerzen, die überall herumstehen, zu flackern. Swap trägt einen alten Smoking, und an seiner nackten Brust hängen eine rote und eine zitronengelbe Krawatte herab. Als Jack näher kommt, sieht er, dass die Zitronenkrawatte mit weißen Totenschädeln getupft ist.
    »Nur zwei Kippen für die Krawatte.«
    »Passt nicht zu meinem Hemd«, sagt Jack und klopft Swap auf den Rücken.
    »Aber mit der Kappe sähe sie gar nicht so schlecht aus.« Er betrachtete Jack von Kopf bis Fuß. »Nur weil die Schatten dich mal wieder ein bisschen gehetzt haben, musst du noch lange nicht deinen guten Geschmack vergessen. Warte, lass mich mal sehen.« Er wühlt in einem Stapel mit Hüten und wirft einen Zylinder und drei
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