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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer
Autoren: William Gibson
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ist das Buch, auf das die Bezeichnung »Cyberpunk« am ehesten zutrifft.
    Case, der Held von Neuromancer, hat zweifellos eine Punk-Einstellung im jetzigen erweiterten Sinn des Wortes. Er ist ein Ex-Speed-Freak, wobei 258
    das Ex nicht freiwillig, sondern im Rahmen einer »therapeutischen« Maß-
    nahme gegen seinen Willen zustandegekommen ist. Er steht am Rande
    der Gesellschaft und agiert hart an der Grenze zur Unterwelt seiner Zukunft, und seine gelegentliche Geliebte ist eine gnadenlose Killerin mit permanent implantierter Spiegeloptik.
    Bis jetzt könnten wir es mit einem gar nicht atypischen Protagonisten
    von Harlan Ellison zu tun haben. Und es ist tatsächlich ein starker Ellison-Einfluß zu spüren, der dem Neuromantischen Empfinden zugrundeliegt.
    Denn es war Ellison, der in seine SF das heutige Banden-oder Straßen—
    milieu einbrachte und damit mehr als jeder andere dafür sorgte, daß Empfinden, Stil, Rhythmus und Charaktere der Halbwelt der Straße in die saubere, mittelständische weiße Welt der SF der fünfziger Jahre eindrang, obwohl der Anschein besteht, daß Gibson ebenso unmittelbar von William Burroughs beeinflußt wurde. Sicherlich wimmelt es im Werk Ellisons von Punk-Protagonisten in der Bedeutung der fünfziger Jahre.
    Aber gegen Ende der siebziger Jahre hatte »Punk« eine neue Bedeutung
    gewonnen, obwohl seltsamerweise schwarze Lederjacken und dreiste Fri—
    suren wieder einmal zu den Attributen der Auflehnung wurden. Die Punks
    der fünfziger Jahre rebellierten gegen Mom, Apple Pie, sexuelle Unterdrückung, Intellektualität und das Amerika von Dwight Eisenhower und Norman Rockwell, und ihre erotisierende Marschmusik – die frühen Anfänge von Rock and Roll auf der Bühne – war interessanterweise bereits primitiv elektronisch.
    Jene Punks verschwanden in den sechziger Jahren von der Bildfläche. Ihr
    Schicksal war besiegelt, als Bob Dylan und die Beatles mit der Umwand—
    lung des Rock and Roll von der fetzigen Elvis-und Straßengang-Musik in
    den politisch bewußten, transzendentalen, revolutionären Utopismus begannen, der die Gegenkultur einläutete.
    Die »Punks« oder »New Waver«, die in der Mitte der siebziger Jahre auf—
    tauchten, waren also trotz der äußeren Aufmachung keinesfalls das gleiche wie die Punks der fünfziger Jahre, denn die neuen Punks rebellierten gegen das Gegenkultur-Empfinden der sechziger Jahre, nicht die längst verschwundene, unschuldige Langeweile der fünfziger.
    Wogegen sie rebellierten, das war der eitle Kunstanspruch der Rockmusik der frühen 70er, der gescheiterte, lässige Utopismus der Gegenkultur, der Mystizismus und der naive Glaube, die Zukunft würde besser, wenn 259
    der jugendliche Idealismus am Ruder bliebe. Wenn die Punks der fünfziger tatsächlich anti-intellektuelle Rowdies waren, dann waren die neuen Punks der siebziger intellektuelle Anti-Intellektuelle; keine naiven, natürlich nihilistische Rebellen ohne Ziel und Richtung, sondern selbstbewußt nihilistische Pessimisten, die den Zynismus zu einer mehr oder weniger kompakten Philosophie erhoben und wußten, was sie taten.
    Der Case von Neuromancer ist ein »Punk« im neuen Sinn, ein intellektueller Punk, kein simpler Greaser. Die »Cyber«-Hälfte der Gleichung bestimmt seine Intellektualität. Gerade dadurch ist Neuromancer eine Wasserscheide in der Science Fiction zwischen der New Wave und einer Neuromantik und erhellt, was die Neuromantische Strömung für die Science Fiction bedeutet.
    Case ist der »Neuromancer« des Titels, und der Name ist natürlich ein
    Wortspiel zu »Necromancer« (dt. Nekromant), was Geisterbeschwörer bedeutet, und »neuro«, also zum Nervensystem gehörig. Der Neuromancer ist ein zeitgenössischer (oder in diesem Fall in der nahen Zukunft angesiedelter) Zauberer, dessen Hexerei darin besteht, sein protoplasmisches Nervensystem mit dem elektronischen Nervensystem der Computerwelt zu interfacen45 und imagistisch zu manipulieren (und selbst davon manipuliert zu werden), ähnlich wie der tradionelle Schamane durch Drogen oder Trance imagistisch in eine Wechselwirkung zu traditionellen mystischen
    Bereichen tritt.
    Nun ist das als Idee in der Science Fiction natürlich nichts Neues. Ähnliches findet sich in meinem Riding the Torch, in Vernor Vinges True Nantes, Alfred Besters Golem 100, und den jüngsten zahllosen Stories und Roma-nen, in denen menschliche Protagonisten in einer Art »Cyberspace«, einem kybernetischen Raum, agieren. Die Disney Studios
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