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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer
Autoren: William Gibson
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machten daraus sogar einen von Spezialeffekten strotzenden Film: Tron.
    Neu allerdings und aus ästhetischer Sicht entscheidend ist daß Gibsons
    Neuromancer kein Computer-Freak oder Hacker ist, sondern ein Computer-Punk. Ein Cyberpunk, wenn man will.
    Während einige »hard SF«-Autoren bekritteln, daß Gibsons Computerei
    wissenschaftlichen Ansprüchen nicht immer genügt, bestätigen sie gerade
    dadurch, daß sie sich die Mühe einer Kritik machen, daß Neuromancer in
    bezug auf seinen Inhalt ein Werk der hard science fiction ist.
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    Interface: unmittelbare wechselseitige Verbindung, direkter Kontakt - Der Übers.
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    Aber was die »hard science«-Typen an diesem Buch – abgesehen von den
    wissenschaftlichen Differenzen – wirklich stört ist, daß Neuromancer stilistisch und charakterologisch keinem früheren »hard SF«-Roman gleicht. Und das scheint den eher literarischen Typen aus entsprechenden Gründen ebenfalls ein Dorn im Auge zu sein.
    Gibson schreibt »hard science fiction.«
    Aber er schreibt sie nicht wie Heinlein oder Poul Anderson oder Hal Clement oder auch Gregory Benford.
    Stilistisch, philosophisch, ästhetisch und im Sinne der bewußten Art seines Protagonisten ist Gibson vielmehr verwandt mit Ellison, William Burroughs, dem Michael Moorcock der »Jerry Cornelius«-Stories und - hm! -
    dem Spinrad von »The Big Flash«, »Bug Jack Barron« oder »Street Meat«.
    Neuromancer vereinigt »New Wave« und »hard science fiction«, auch wenn das widersprüchlich erscheint.
    Neuromantisch.
    Neuro-romantisch.
    Aber auch neu romantisch.
    Als Bob Dylan in den frühen sechziger Jahren beim Newport Folk Festival auftrat und eine elektrische Gitarre spielte, waren die versammelten Beats, Bohemians und Folkies entrüstet. Das war ein Folk Festival, die Leute waren Intellektuelle, Dylan war ihr Held, und seine Texte drückten das aus, was später gerade durch die Instrumentierung zum Geist der Gegenkultur werden sollte.
    Aber die elektrische Gitarre war das Instrument des Rock and Roll, der Musik der kahlköpfigen Typen in schwarzer Lederjacke, der Rocker, der Skinheads, und nicht der Mods, die sich aus der Gegenkultur entwickel—ten.
    Tja, Kinder, es ist heutzutage schwer zu glauben, daß Rock einst als gegensätzlich zu den geistigen, kulturellen, ästhetischen und gesellschaftlichen Werten der elitären Boheme galt, daß der Rock sich, von Dylan und den Beatles nachhaltig umgemodelt, in die gemeinsamen Werte einer ganzen Generation in Form, der Gegenkultur umwandeln sollte!
    Und es blieb ein seltsamer Widerspruch im Kern der Gegenkultur durch
    die ganzen 60er und bis weit in die 70er bestehen; ihre anti-technologische Ideologie nämlich, der Neo-Ludditismus, der Argwohn gegen die Lei—261
    stungen von Wissenschaft und Technik, der bukolische Mystizismus, das
    ökologische Bewußtsein wurde ausgedrückt durch Rock and Roll, einen Musikstil, den vornehmlich die elektrisch verstärkte Gitarre und der gänzlich elektronische Synthesizer prägten.
    Die Science Fiction der New Wave war gewissermaßen ebenfalls ein
    Phänomen der Gegenkultur, und der heftige Konflikt zwischen den New
    Wavern und der alten SF-Garde spiegelte sozusagen auf literarischer Ebene die Polarität und den Generationskonflikt in der Gesellschaft insgesamt wider.
    Wir alle kennen die Geschichte. Die New Wave trat ein für sexuelle Be-freiung und kulturellen Pluralismus, die alte Garde hingegen für traditionelle moralische Werte. New Wave stand für stilistische Experimente, die alte Garde hingegen für simple, transparente Erzählkunst. Die New Wave war gegen das Establishment und gegen Krieg, während die alte Garde
    unsre Jungs in Vietnam unterstützte.
    Und die alte Garde warf der New Wave ständig vor, sie sei nihilistisch
    gegen Wissenschaft und Technik eingestellt, während die New Wave die
    alte Garde wegen ihrer naiven Haltung bespöttelte, daß ein Aufschwung in Wissenschaft und Technik eo ipso zur Verbesserung der menschlichen Bedingungen beitragen müsse.
    Dabei führte die damalige politische Polarität auf beiden Seiten zu der völlig falschen Ansicht daß eine unvereinbare Dichotomie bestehe zwischen Wissenschaft und Geist, zwischen »hard« Science Fiction und stilisti-schem Experiment, zwischen logischem Positivismus und »gesundem«
    Volksempfinden, zwischen einer streng wissenschaftlich orientierten und
    einer auf charakterologischem Realismus begründeten Science Fiction,
    zwischen Computerhackern und Hippies,
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