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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer
Autoren: William Gibson
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Tastatur, um Informationen mit einem Computer austauschen zu können. -
    Der Übers.
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    Sarghotel lag, sich ans Bett klammerte und im Temperschaum wühlte, um die Console zu erreichen, die nicht da war.
    »Hab gestern abend dein Mädchen gesehn«, sagte Ratz, als er Case das zweite Kinn zuschob.
    »Ich hab keins«, sagte er und trank.
    »Miß Linda Lee.«
    Case schüttelte den Kopf.
    »Kein Mädchen? Nichts? Nur Geschäft, Freund Künstler? Voll dem Kommerz verschrieben?« Seine kleinen braunen Augen saßen in faltigen Höhlen.
    »Denke, mit ihr hast du mir besser gefallen. Hast mehr gelacht. Fürchte, eines Nachts wirst du vielleicht zu künstlich; endest in 'ner Klinikzelle, Er-satzteillager.«
    »Du brichst mir das Herz, Ratz.« Er trank sein Bier aus, bezahlte und ging, die hohen, schmalen Schultern in den regennassen khaki Nylonano—rak verspreizt. Als er sich durch die Ninsei-Menge zwängte, roch er den eigenen muffigen Schweiß.
    Case war vierundzwanzig. Mit zweiundzwanzig war er ein Cowboy, ein
    Aktiver, gewesen, einer der besten im Sprawl. Er war von den besten ausgebildet worden, von McCoy Pauley und Bobby Quine, Legenden im Geschäft. Mit ständigem Adrenalinüberschuß, Nebenprodukt seiner Jugend und seines Könnens, hing er an einem handelsüblichen Cyberspace-Deck, das sein entkörpertes Bewußtsein in die reflektorische Halluzination der Matrix projizierte. Als Dieb arbeitete er für andere, reichere Diebe, Auftraggeber, die die exotische Software lieferten, die erforderlich war, um glänzende Firmenfassaden zu durchdringen und Fenster in reiche Datenfelder aufzutun.
    Er machte den klassischen Fehler, obwohl er sich geschworen hatte, diesen nie zu begehen. Er klaute von seinen Auftraggebern. Er behielt etwas für sich und versuchte, es durch einen Hehler in Amsterdam abzusetzen.
    Er war sich noch immer nicht ganz sicher, wie sie ihm auf die Schliche gekommen waren, was freilich keine Rolle mehr spielte. Er hatte mit dem Tod gerechnet, aber sie lächelten nur. Natürlich sei er willkommen, mein—ten sie, willkommen im Reich des Geldes. Und er brauche das Geld. Denn -
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    noch immer lächelnd – sie würden dafür sorgen, daß er nie wieder arbeiten könne.
    Sie schädigten sein Nervensystem mit einem russischen Mykotoxin aus
    Kriegszeiten.
    In einem Hotel von Memphis ans Bett gefesselt, halluzinierte er dreißig Stunden lang. Mikron für Mikron brannte sein Talent aus.
    Der Schaden war gering, unauffällig, aber äußerst wirksam.
    Für Case, der für die körperlosen Freuden des Cyberspace gelebt hatte, war es der große Fall. In den Bars, in denen er als Super-Cowboy verkehrt hatte, zeigte die Elite der Branche eine gewisse Gelassenheit und Verachtung gegenüber dem Fleisch. Der Körper war nur Fleisch. Case wurde ein Gefangener seines Fleisches.
    Sein ganzes Hab und Gut war schnell in Neue Yen eingetauscht, griffige Scheine der alten Papierwährung, die endlos durch die geschlossenen Kanäle des weltweiten Schwarzmarkts kursierten wie die Meeresmuscheln der Trobriand-Insulaner. Es war schwierig, im Sprawl legitime Geschäfte mit Bargeld abzuwickeln; in Japan war es bereits verboten.
    In Japan, so hatte er sich verbissen eingeredet, würde er hundertpro—zentig Heilung finden. In Chiba. Entweder in einer registrierten Klinik oder in der Grauzone der schwarzen Medizin. Chiba, ein Synonym für Implantationen, Nervenspleißen und Mikrobionik, war ein Magnet für die techno-kriminellen Subkulturen des Sprawl.
    In Chiba hatte er zugesehen, wie seine Neuen Yen in einer zweimonati—gen Runde von Untersuchungen und Konsultationen draufgingen. Die Leute in den schwarzen Kliniken, seine letzte Hoffnung, hatten die gekonnte Verstümmelung bestaunt und dann langsam den Kopf geschüttelt.
    Nun schlief er in den billigsten Kisten, denjenigen in unmittelbarer Hafennähe zwischen den Quarz-Halogen-Strahlern, die die Docks Tag und Nacht wie riesige Bühnen beleuchteten; wo man wegen des grellen Fernsehhimmels die Lichter von Tokio nicht sehen konnte, nicht einmal das himmelhohe Hologramm-Logo der Fuji Electric Company, und die Bucht
    von Tokio sich als schwarze Wüste darbot, wo die Möwen über den treibenden weißen Styroporschwaden kreisten. Hinter dem Hafen lag die Stadt mit ihrem Fabrikkuppeln, überragt von den riesigen Würfeln der fir—10
    meneigenen Arcologien2. Hafen und Stadt waren durch einen schmalen
    Gürtel alter Straßen getrennt, ein Niemandsland ohne offiziellen Namen. Night City mit Ninsei im
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