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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer
Autoren: William Gibson
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herumprobiert, wie er seine Kobra unauffällig bei sich verstauen könnte; schließlich hatte er es dabei belassen, den Griff in den Hosenbund seiner Jeans zu stecken, so daß die Röhre über seinem Bauch lag. Die pyramidenförmige Spitze baumelte zwischen seinem Brustkorb und dem Stoff seines Anoraks. Er hatte ständig den Eindruck, das Ding würde beim nächsten Schritt klirrend auf den Boden fallen, aber es gab ihm ein besseres Gefühl.
    Das Chat war eigentlich keine Bar zum Dealen, lockte aber an Wochen—tagen eine einschlägige Kundschaft an. Freitag und Samstag abends war das anders. Die Stammgäste waren größtenteils zwar auch da, aber sie verschwanden im Strom der Matrosen und der Spezialisten, die ihnen auf—lauerten. Als Case die Flügeltür aufstieß, suchte er nach Ratz, aber der Barkeeper war nicht in Sicht. Lonny Zone, der Stammzuhälter der Bar, verfolgte mit glasigem, väterlichem Blick, wie eins seiner Mädchen einen jungen Matrosen zu bearbeiten begann. Zone war abhängig von einem Hyp—notikum, das die Japaner als ›Wolkentänzer‹ bezeichneten. Als Case einen Blick des Zuhälters erhaschte, bedeutete er ihm, zur Bar zu kommen. In Zeitlupe schob sich Zone durch die Menge, das längliche Gesicht schlaff und gelassen.
    »Hast heut' abend Wage gesehn, Lonny?«
    Zone sah ihn seelenruhig wie immer an und schüttelte den Kopf.
    »Sicher, Mann?«
    »Vielleicht im Namban. Vor zwei Stunden vielleicht.«
    »Paar Macker dabeigehabt? Einer davon dünn, dunkles Haar, vielleicht schwarze Jacke?«
    »Nein«, sagte Zone schließlich mit gerunzelter Stirn, um anzuzeigen, welche Mühe es ihm kostete, sich solcher Belanglosigkeiten zu entsinnen.
    »Große Kerle. Transplantis.« Zones Augen hatten sehr wenig Weiß und
    noch weniger Iris; die Pupillen unter den lappigen Lidern waren ordentlich geweitet. Er blickte lange in Cases Gesicht und senkte dann den Blick. Er sah die Wölbung der Stahlpeitsche. »Kobra«, sagte er und zog eine Braue hoch. »Willste jemand den Arsch aufreißen?«
    »Tschüß, Lonny!« Case verließ die Bar.
    Sein Beschatter war wieder da. Case war sich ganz sicher. Freudige Erre—21
    gung durchschoß ihn, als Oktagon und Adrenalin sich mit etwas anderem mischten. Dir gefällt das, sagte er sich; du bist verrückt. Denn seltsamerweise war es fast wie ein Lauf in der Matrix. Wenn du dich entsprechend verzettelt hast und verdutzt feststellst, daß du irgendwie hoffnungslos in der Klemme steckst, könntest du Ninsei als Datenfeld sehen, wie ihn die Matrix einst an zur Unterscheidung von Zellmerkmalen verkettete Protei—ne erinnert hat. Dann könntest du dich mit hoher Geschwindigkeit treiben lassen, flüchtig darüber hinweggehen, total gefesselt, aber losgelöst von allem, und überall ringsum der Reigen des Geschäfts, wechselwirkende Informationen, fleischgewordene Daten im Labyrinth des Schwarzmarkts...
    Mach schon, Case! sagte er sich. Leg sie rein! Damit würden sie am wenigsten rechnen. Er war einen halben Block von der Spielhölle entfernt, wo er Linda Lee kennengelernt hatte.
    Er stürmte durch Ninsei und scheuchte eine Horde von schlendernden
    Matrosen auseinander. Einer davon fluchte ihm in Spanisch nach. Dann war er durch den Eingang. Der Lärm schlug über ihm zusammen wie eine Welle, die Bässe pulsierten in seiner Magengrube. Jemand landete einen 10—Megatonnen-Treffer im Europäischen Panzerkrieg; eine simulierte Luftex—plosion überflutete die Spielhalle mit einem hellen Tosen, während ein düsterrotes Feuerball-Hologramm pilzförmig aufloderte. Er schwenkte
    nach rechts und lief über eine Treppe aus unlackiertem Spanholz. Er war einmal mit Wage hiergewesen, um einen Deal mit verschreibungspflichti—gen Hormonauslösern mit einem gewissen Matsuga zu besprechen. Er erinnerte sich an den Korridor, den schmutzigen Mattenbelag, die Reihe von identischen Türen, die in winzige Büros führten. Eine Tür stand jetzt offen. Eine junge Japanerin in einem ärmellosen, schwarzen T-Shirt blickte von einem weißen Terminal auf; hinter ihrem Kopf ein Reiseposter von Griechenland, ägäisches Blau mit schnittigen Schriftzeichen.
    »Aufpassen!« sagte Case zu ihr.
    Dann lief er durch den Korridor, bis er außer Sicht war. Die beiden letzten Türen waren geschlossen und, wie er vermutete, abgesperrt. Er wirbelte herum und stieß mit der Sohle seiner Nylonturnschuhe gegen die blaulackierte Sperrholztür am hinteren Ende. Sie knallte auf. Billiges Metall fiel aus dem zersplitterten
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