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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer
Autoren: William Gibson
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Wage.« Nun trat etwas in die grauen Augen, das er nicht deuten konnte, das er noch nie darin gesehen hatte.
    »Ich schulde Wage 'ne Menge mehr. Nimm schon! Ich krieg bald mehr«,
    log er, als seine Neuen Yen hinter dem Reißverschluß ihrer Tasche verschwanden.
    14
    »Beschaff dein Geld, Case, geh bald zu Wage.«
    »Bis später, Linda«, sagte er beim Aufstehen.
    »Klar.« Ein Millimeter von Augenweiß zeigte sich unter ihren Pupillen.
    Sanpaku. »Paß auf, Mann!«
    Er nickte und wollte schnell verschwinden.
    Als die Plastiktür hinter ihm zufiel, blickte er zurück und sah ihre Augen, die sich in einem roten Neonrahmen spiegelten.
    Freitag nacht in Ninsei.
    Er passierte Yakitori-Buden6 und Massagesalons, ein Franchise-Cafe namens Beautiful Girl, das elektronische Getöse einer Spielhalle. Er trat zur Seite, um einen dunkelgekleideten Sararimann vorbeizulassen, als er das Mitsubishi-Genentech-Logo sah, das auf seinem rechten Handrücken eintä-
    towiert war.
    War es authentisch? Falls ja, dachte Case, droht ihm Ärger. Falls nicht, geschah's ihm recht. MG-Angestellten ab einer bestimmten Stufe waren moderne Mikroprozessoren implantiert, die den Mutagen-Spiegel7 im
    Blutstrom regulierten. Solches Gerät in Night City bringt einem Zoff, bringt einen schnurstraks in eine schwarze Klinik.
    Der Sararimann war Japaner gewesen, aber die Leute in Ninsei waren
    Gaijin8. Gruppen von Matrosen vom Hafen drüben, einzelne Touristen, die verbissen Vergnügungen nachjagten, die in keinem Reiseführer verzeich—net waren, schwere Jungs vom Sprawl, die mit Transplantaten und Im—
    plantanten protzten, und ein Dutzend verschiedener Spezies von Gau—
    nern, alle durchschwärmten sie die Straße in einem komplizierten Reigen von Lust und Kommerz.
    Es gab zahllose Theorien darüber, warum Chiba City die Enklave von
    Ninsei duldete, aber Case neigte zur Ansicht, daß der Yakuza9 diesen Ort gewissermaßen als historischen Park erhalte, als Denkmal für die beschei—denen Anfänge. Andrerseits leuchtete ihm auch ein, daß die wachsende Technisierung Freiräume brauchte, daß Night City nicht wegen seiner Bewohner existierte, sondern als absichtlich ungeregeltes Spielfeld der Technologie.
    6
    Yakitori = jap. Gericht, ausgelöstes Huhn in Sojasauce. - Der Übers.
    7
    Mutagene = chem. Stoffe, die Mutationen auslösen. - Der Übers.
    8
    Gaijin = jap.: Ausländer. - Der Übers.
    9
    Yakuza = jap. Gangster. - Der Übers.
    15
    Ob Linda recht habe, fragte er sich, als er zu den Lichtern hinaufblickte.
    Würde Wage ihn killen lassen, um ein Exempel zu statuieren? Es war nicht logisch, aber freilich handelte Wage vornehmlich mit rezeptpflichtiger Bioware, und um so was zu tun, so hieß es, müsse man verrückt sein.
    Aber Linda sagte, Wage wolle ihn umbringen lassen. Cases erste Einsicht in die Dynamik der StraßenDeals lautete, daß er weder vom Käufer noch Verkäufer wirklich gebraucht wurde. Das Geschäft eines Mittelsmannes besteht darin, sich zu einem notwendigen Übel zu machen. Die dubiose Nische, die Case sich in der kriminellen Ökologie von Night City schuf, hatte er sich durch Lügen aufgetan, Nacht für Nacht durch Betrügereien ausgebaut. Als er nun spürte, daß ihre Mauern zu zerbröckeln begannen, empfand er eine seltsame Euphorie.
    Letzte Woche hatte er die Weitergabe eines synthetischen Drüsenex—
    trakts verzögert und ihn mit einer größeren Spanne als üblich en detail weiterveräußert. Er wußte, Wage hatte das nicht gefallen. Wage, seit neun Jahren in Chiba und einer der wenigen Gaijin-Dealer, denen es gelungen war, mit dem starr hierarchisch gegliederten kriminellen Establishment jenseits der Grenzen von Night City Kontakte zu knüpfen, war sein wichtigster Lieferant. Gen-und Hormonmaterial sickerte über eine verschlun—gene Leiter von Strohmännern nach Ninsei. Irgendwie hatte Wage es einmal geschafft, etwas zurückzuverfolgen, und nun erfreute er sich beständiger Beziehungen in einem Dutzend Städten.
    Case ertappte sich dabei, wie er in ein Schaufenster starrte. In dem Laden wurde Krimskrams an Matrosen verkauft. Uhren, Klappmesser, Feuer—zeuge, Taschenvideorecorder, Simstim-Decks, beschwerte Manriki-Ketten und Shuriken. Die Shuriken, stählernde Sterne mit messerscharfen Spitzen, hatten es ihm angetan. Die einen waren verchromt, die anderen schwarz, wieder andere mit einem regenbogenähnlichen Film wie Öl auf Wasser beschichtet. Aber die verchromten Sterne fesselten seinen Blick.
    Sie waren mit fast
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