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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt
Autoren: James Kahn
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Vogel-Kind blieb bewusstlos und atmete keuchend.
    Nach kurzer Zeit hatten sich alle versammelt. Josh deckte das Kind zu, legte ihre Beine gerade, wischte ihre Stirn. Isis rollte sich in der Nähe zusammen und schlief ein.
    Im Lager hausten noch an die hundert Wesen, die alle den Vater und das Kind sehen wollten: die überlebenden Buchleute, die ausgemergelten befreiten Menschen; Jasmine, Rose, Aba, Paula, Phé, Ollie, Osi. Dazu waren Flüchtlinge aus Newport gekommen: Bären, Elfen, Satyre. Man hörte lautes Stimmengemurmel, als die Umstehenden sich fragten, was sie tun sollten. Ollie und Jasmine kamen heran.
    »Du hättest sie in der Festung sterben lassen sollen«, sagte Ollie. »Wir konnten die Explosion von hier aus sehen. Sie wäre gestorben.«
    »Sie stirbt auch so«, erwiderte Josh.
    »Ein rascher Tod wäre besser gewesen«, meinte Jasmine.
    »Für wen?« flüsterte Josh.
    »Für sie und für uns«, gab Jasmine zurück.
    »Ich … konnte sie dort nicht liegen lassen«, stieß Josh hervor.
    »Ich töte sie hier«, sagte Osi dumpf und trat vor. Er verspürte abgrundtiefen Hass auf das Kind, das so zwiespältige Gefühle in ihm erweckt hatte. Er wollte das Wesen ein für allemal los sein, um die Schande vergessen zu können.
    Josh vertrat ihm den Weg.
    »Nein. Das lasse ich nicht zu.«
    »Du kannst mich nicht aufhalten.« Osi starrte ihn finster an.
    Josh wich nicht zurück.
    »Mag sein. Dann musst du zuerst mich töten.« Er blieb vor dem Kind stehen und sagte zu den anderen: »Das gilt für euch alle. Niemand wird diesem Kind etwas tun, ohne vorher mich töten zu müssen!«
    »Aber, Joshua …«, begann Jasmine.
    »Nein!« fuhr er sie an. »Sie ist Blut von meinem Blut. Sie hat mir vieles gezeigt, mir die Augen geöffnet … ich habe gesehen, was noch keiner sah oder jemals sehen und wissen wird. Und auch wenn sie jetzt stirbt, kann sie noch etwas mit uns teilen – und diese Möglichkeit lasse ich nicht verbauen!« Seine Augen leuchteten vor Leidenschaft; kein einziges Wesen im Lager hatte noch die Kraft, sich gegen ihn aufzulehnen. Die meisten waren ohnehin zu geschwächt oder verwundet, die übrigen hatten kein Interesse, Josh zu widersprechen.
    Osi zögerte, bedachte die Möglichkeiten, zog schließlich die Schultern hoch und ging.
    Ollie schüttelte kurz den Kopf und entfernte sich ebenfalls. Eine Minute später konnte man seine Flöte hören.
    Es folgte eine Woche schlimmer und unerklärlicher Ereignisse.
    Den ganzen ersten Tag litt das Kind unter abwechselnden Schüttelfrost- und Fieberanfällen. Während der ersteren sank die Temperatur im Lager auf arktische Werte. Tiere erfroren. Beim Hitzefieber schlugen die Wetterverhältnisse schlagartig um, es wurde glühend heiß, was ebenfalls manche Tiere das Leben kostete.
    Das Leid im Lager griff um sich – Trauer um gefallene Kameraden, um Mitkämpfer, die der Intrige zum Opfer gefallen waren, der Enttäuschung: Kerzenflamm, Redsun, Michael, Beauty, D’Ursu, Ellen, Delaney, David, die meisten Angestöpselten und Bücher. Und jeden Tag, den das sterbende Kind noch lebte, starben mehr.
    Aber auch die Überlebenden hatten viel von sich selbst verloren. So vieles war untergegangen, so vieles verändert. Niemand würde mehr sein wie früher. Die Welt, wie man sie gekannt hatte, war dahin, eine neue noch nicht entstanden. Für die meisten Wesen im Lager war es eine Zeit der Verzweiflung, der Furcht, der Trauer und der Wehmut.
    Das Kind wurde immer kränker. Manchmal riss sie die Augen auf und starrte – dann wurde die Sonne am Himmel blendend, schmerzhaft grell. Sie presste die Augen wieder fest zusammen – und die Sonne verdunkelte sich.
    In den folgenden beiden Tagen hatte sie bedrückende Träume, warf sich hin und her, wimmerte, keuchte. Mehrmals verfiel sie in Delirium. Während dieser Zeit tauchten die neuen Tiere auf.
    Nicht die gewöhnliche Art neuer Tiere, die sich in der letzten Zeit eingefunden hatten, nein, völlig neue Wesen, die vorher noch nirgends erschienen waren. Manche sahen aus wie zusammengeflickt aus alten Tieren, andere waren in sich gleichförmig: absurde Köpfe auf fremdartig gefärbten Leibern, merkwürdige Beine, exotische, unverständliche Sprachen. Bizarre Wesen, erschreckende, alberne, bösartige oder angstvolle, auch solche, die keiner Erklärung zugänglich erschienen.
    Überall tauchten auch neue Pflanzen auf, farnartige Gewächse auf unsinnig hohen, dünnen Stämmen, orangerote oder purpurne Obstbäume, von denen Saft
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