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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt
Autoren: James Kahn
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ersticken. Wie eine Vorahnung des Untergangs schien sie in einem Winkel ihrer Seele aufzutauchen und wieder zu verschwinden.
    Am siebten Tag erlitt das Kind schließlich einen langen, furchtbaren Anfall von Genickstarre – ihr Rücken wölbte sich zu einem gespannten Bogen, beinahe bis zum Brechen; ihre Muskeln verkrampften sich, wurden steinhart; ihr Mund verzog sich zu einer furchtbaren Grimasse, ihre Atmung hörte beinahe auf. Das war der Anfang vom Ende.
    Die Schwerkraft nahm langsam zu, die Atmosphäre verdichtete sich. Die großen Weiß-Vögel, die tagelang gekreist hatten, stürzten vom Himmel herab, plötzlich zum Fliegen nicht mehr fähig. Die größten Tiere der Erde fielen auf die Knie, da ihre Beine sie nicht mehr trugen, und konnten nicht mehr aufstehen. Alle schienen unter schweren Lasten zusammenzusinken.
    Die Sonne brauchte lange, bis sie unterging, als die Erde ihre Drehung verlangsamte, und schließlich, als die Sonne dahin war, ganz zum Stillstand kam und die kauernden „Wesen in eine lange, kalte Nacht hineinwarf.
    Sie schien eine Ewigkeit zu dauern, diese längste Nacht von allen. Man konnte hören, wie das Meer vom Ufer wegrauschte und viele Meilen weit nackten, nassen Strand zurückließ. Die Erde brüllte und brach und bäumte sich auf, zerriss beinahe unter der Belastung des plötzlichen Stillstandes. Berge explodierten, der Boden verwandelte sich in dampfenden Schlamm. Die Landspitze, auf der die Tiere sich zusammendrängten, wurde schräg hochgehoben, wie ein Sims über der zerbrechenden Welt.
    Der Puls des Kindes wurde schwach und stockend. Ihr Blutdruck fiel. Mit ihm der Druck der Luft, die wieder leichter wurde – aber Gewitter betrommelten den Himmel mit Blitzen, Regen und tobendem Wind, die schaumige Luft kreischte wie gemartert.
    Bis endlich das Rückgrat des Kindes unter dem gewaltigen Spannungsdruck brach und sie kurze Zeit leichter atmete, während die Atemzüge flacher wurden. Und plötzlich ging die Sonne wieder auf – aber an dem Horizont, hinter dem sie eben versunken war, und sie stieg empor. Denn die Erde rotierte jetzt in der entgegengesetzten Richtung, so dass die Sonne im Osten aufging und im Westen untergehen würde, ganz anders als bisher.
    Die Tiere starrten gebannt auf die Sonne, die im Osten aufging!
    Im Osten!
    Die Sonne, die zuverlässigste und majestätischste aller Uhren, die immer und ewig – in der Erinnerung aller Tiere und aller Schreiber – im Westen auf- und im Osten untergegangen war, stieg nun im Osten empor und würde, wenn sie diesen entsetzlichen Weg fortsetzen durfte, im Westen untergehen!
    Im Westen, über dem Ozean.
    Der Ozean. Josh und die anderen nahmen plötzlich ein anschwellendes Donnern im Westen wahr und blickten auf das Meer. In der schimmernden Ferne kehrte der Ozean zurück – mit Urgewalt. Eine tobende Wasserwand, hundert Meter hoch, näherte sich mit einer Geschwindigkeit, die keine Zeit für Überlegung ließ.
    Josh beugte sich kurz über das Kind. Es war tot. Am Ende dieses langen, siebten Tages der Krankheit hatte es endlich Ruhe gefunden. Bevor irgend jemand trauern oder jubeln konnte, wankte der Boden unter dem ersten Anprall der Welle, die im Westen an die Klippen peitschte. Josh stürzte hin. Isis kroch auf seinen Schoß und klammerte sich zitternd an ihn.
    Aba und Phé packten plötzlich die anderen – Josh, Isis, Paula, Jasmine, Ollie und Rose –, hoben sie auf, als sie hinstürzten, und flogen eingehakt so hoch sie konnten, um diese Riesenlast tragen zu können. Sie schwebten in einer Höhe von etwa dreißig Metern und mühten sich, in der Luft zu bleiben, als das Wasser unter ihnen heranfegte und die anderen mitriss.
    Ein Sturmwind begleitete das Wasser, riss Aba und Phé auseinander. Phé hatte nur noch Paula im Arm. Aba trug Jasmine, Rose, Ollie und Josh, an den sich immer noch Isis klammerte. Die Vampirgeschwister versuchten wieder einander zu greifen, aber der Wind warf sie herum, zerrte an ihren Flügeln, und sie hatten genug damit zu tun, in der Luft zu bleiben.
    Das Floß der Menschen fegte auf dem Kamm der Welle dahin, Wesen wurden mitgerissen oder hinabgezerrt. Der Lärm war ungeheuerlich, die Winde wüteten. Phé und Aba wurden immer weiter auseinander gerissen, bis sie sich fast aus den Augen verloren.
    Aba hatte dazu noch die schwere Last und konnte sich kaum halten. Er wurde hinuntergedrückt, dem tobenden Wasser immer nähertreibend. Und je näher er der Oberfläche kam, desto ärger wurde der Wind, desto
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