Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt
Autoren: James Kahn
Vom Netzwerk:
das Rad gesehen. Den taumelnden Kreiselkompaß der Zeit.
    Und nun sah er das Kind, das sich im dunklen Lüftungsschacht verbarg, wartend … worauf? Auf Jasmine? Auf das Ende der Welt? Darauf, dass das All ins Chaos taumelte? Nein.
    Gewiss auf ihn. Aber wer war er? Er war einmal der Schlangengott gewesen, der Meister-Schreiber. Jasmine hatte es selbst gesagt. Er war Jäger, Selkie-Bruder. Zeitreisender. Freund. Vater. Vater dieses Kindes, das alles sehen konnte, aber hilflos war unter der Last des Wissens. Dies war das Kind, aber wer war der Vater? All dies? Er konnte es nicht glauben. Er fühlte nichts in sich. Er hatte kein Gefühl mehr für das, wer oder was er war.
    Ungeheure Verzweiflung erfüllte ihn. Wenn er nicht wusste, wer er war, wie sollte er jemals wissen, was er tun musste? Die Unentschlossenheit drohte ihn zu lähmen. Wagte er noch einen weiteren Schritt zu tun? Oder lieber nicht?
    »Joshua, Gott sei Dank«, flüsterte Jasmine und hob die Spraydose an die Schachtöffnung.
    Josh riss die Hand hoch.
    »Du musst dem Kind Einhalt gebieten«, sagte er ganz leise. »Mach dem Traum ein Ende …«
    Irgend etwas an seiner Stimme oder seiner Handbewegung ließ Jasmine zögern. Sie starrte Josh kurz an. Im nächsten Augenblick tauchte Ninjus hinter einer verborgenen Tür auf, hieb Jasmine nieder, riss ihr das Hämo-Öl-Ventil auf. Er stürzte sich auf Josh, der unwillkürlich zurücksprang und sich im Getümmel verlor.
    Fleur sprang vor – er hatte von Anfang an Ausschau nach Ninjus gehalten, um Elspeths Tod zu rächen. Er packte Ninjus mit einer Hand, stieß ihm ein langes Messer in den Mund und versuchte über den weichen Gaumen Ninjus’ Rückgrat zu erreichen – die einzige Stelle, wo er verwundbar war.
    Sie hatten sich eng umschlungen und drehten sich an der Wand wie im Todestanz. Ninjus hatte die Schuppenhände um Fleurs Hals gelegt und versuchte ihn zu erdrosseln. Als Fleur mit dem Rücken an die Wand prallte, rutschte Ninjus in einer Blutlache aus – und Fleur stieß das Messer tief hinein. Bevor Ninjus noch zu Boden gesunken war, schob das Kind den Kopf aus der Schachtöffnung über Fleur, griff hin, riss Fleurs Ventilkappe ab, beugte sich hinaus, legte die Lippen an das Ventil und blies hinein, so fest sie konnte, eine halbe Lunge voll Luft in Fleurs Kreislauf pustend.
    Der rosige, fast durchsichtige Neuromann wurde von einem Krampf geschüttelt, dann brach er neben Ninjus zusammen.
    Das Kind zog sich rasch in den Schacht zurück.
    Der Kampf tobte weiter, obwohl beide Seiten schon stark dezimiert waren und die Erschöpfung sich bemerkbar machte. Vorsichtig schob das Kind sich Zentimeter für Zentimeter im Schacht nach hinten, bis sie einen Nebenschacht erreichte, wo sie sich aufsetzen konnte.
    Was hatte dies alles zu bedeuten? fragte sie sich. Was sollte sie tun? Und wann? Und warum?
    Plötzlich huschte Isis heran, als hätte sie die ganze Zeit auf sie gewartet. Komische kleine Katze, dachte das Kind. Immer zusammengerollt und schlafend, gleichgültig, was sich rundum abspielte. Kleines, liebes Kätzchen. Das Kind kraulte Isis hinter den Ohren. Isis schnurrte und lehnte sich an die dürren Finger des Kindes.
    »Du bist seit meiner Geburt bei mir«, sagte die Kind-Königin zu der schnurrenden Katze.
    Isis zerbiss die Kapsel, die Jasmine ihr vorher in das Mäulchen gelegt hatte; eine warme, bittere Flüssigkeit quoll heraus und bedeckte ihre Zunge. Sie setzte sich auf und begann dem Kind das Gesicht abzulecken.
    Das Kind kicherte und gab Koselaute von sich, denn die Zunge der Katze war weich, warm, ein bisschen aufgeraut. Sie kitzelte. Plötzlich flutete eine „Welle des Grauens über das Gesicht der Kind-Königin, durchspülte sie wie Lava – denn sie wusste schlagartig, was die kleine Katze getan hatte, was sie vorhatte.
    Sie stieß Isis weg und sank an die Wand. Das Entsetzen stieg in ihr auf, begann sie zu erdrosseln, zu ersticken. Sie kreischte: »Ich will noch nicht! Ich will noch nicht!«
    Aber niemand antwortete. Isis huschte in einen Nebenschacht und verschwand.
    »Ich will noch nicht«, wimmerte das Kind, aber schon wollten Kehle und Zunge nicht mehr gehorchen.
     
    Der Kampf ging zu Ende. Verwundete auf beiden Seiten schleppten sich zu den Türen hinaus, auf der Suche nach Tageslicht.
    Ollie durchsuchte Ugo und fand den Schlüssel für die Menschenkäfige. Er ging unter großen Mühen – sein Bein hatte tiefe Schnittwunden – zu den Käfigen hinunter und sperrte sie auf. Die Hälfte der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher