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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K.
Autoren: Ein fatales Erbe
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FA. K. Shevchenko
     
    EIN FATALES ERBE
     
    Aus dem Englischen von Sabine Hübner
     
     
    PROLOG
     
    Cambridge, 1. April 2001
    »Es liegt an der Beleuchtung«, beruhigt sie sich selbst.
»Die gruslige Beleuchtung ist der Grund.« Die Fliesen unterhalb der Leuchtstoffröhre
glänzen. Im künstlichen blauen Schimmer, der den Raum erfüllt, wirkt sein
Gesicht bleich, die Sommersprossen wirken wie abgewaschen. Sie steht an der
Rollbahre und weiß nicht, was sie mit ihren Händen anfangen soll.
    Plötzlich verspürt sie den Drang, das Laken glatt zu
ziehen, zwei unscheinbare Falten unter seiner Schulter auszubügeln. Als ihre
Finger die Rollbahre berühren, zieht sie sie rasch wieder zurück, so kalt
kriecht die Kälte des Stahls durch ihre Fingerspitzen, den Arm hinauf bis in
die Schultern und dann in den Brustkorb. Eisig ist es hier. Na ja, denkt sie,
warum auch nicht. Für diesen Ort ist das ja ganz normal.
    Die Tür steht halb offen, und sie sieht einen Mann in
einer langen Gummischürze, der mit dem Schlauch eine weitere stählerne
Rollbahre abspritzt. Das Wasser ist rosa und schaumig, eine Mischung aus Blut
und Reinigungsmittel. Akribisch, verbissen ist der Mann damit beschäftigt, wie
so oft die letzten Spuren eines Lebens abzuwaschen. Er richtet den scharfen
Strahl in die Ecke, und da fällt ihr ein, dass sie dieses Geräusch schon einmal
gehört hat. Regen, der auf ein Blechdach prasselt - letzte Woche, als sie sich
versteckten.
    Da ist noch ein anderes Geräusch, näher. Klick-klack.
Schwarze Schuhe mit marineblauen Schnürsenkeln. Ein rastloses, ungeduldiges
Geräusch. Es scheint leicht zu stottern, wie der Sekundenzeiger ihrer Bürouhr,
der immer etwas nachhallt, und wie der Besitzer der schwarzen Schuhe, als er
wieder ihren Namen ausspricht: »»K-K-Kate ...« Sie versucht sich zu erinnern,
warum sie hier ist, schaut ihn hilfesuchend an. Er sieht aus wie ein Professor
- leicht zerknittert, hintergründig intelligent -, aber so sehen hier, in dieser
Universitätsstadt, wahrscheinlich die meisten Polizisten aus. Heute Morgen am
Telefon haben sie noch zusammen gelacht, als er sich mit ihrem ungewöhnlichen
Nachnamen abmühte, ein Cluster aus Konsonanten, vermengt mit ein paar derben
Vokalen: »Wenn Sie einen Namen nicht aussprechen können, bin es vermutlich ich«,
hatte sie zu ihm gesagt. Nett, gleich am Montagmorgen mit einem Fremden
herumzuflachsen.
    Aber das war im vorigen Leben gewesen, bevor er ihr die Nachricht überbrachte.
    Sie bestätigte noch einmal Zeitpunkt und Ort des Treffens,
verließ das Büro, nahm einen Zug, dann ein Taxi. Sie hat von diesem
Schutzmechanismus gelesen: Menschen im Schockzustand gehen, reden, handeln oft
noch eine Weile ganz normal, als wäre nichts passiert. Das Gehirn blockiert die
Gefühle. Schlägt einen schweren Deckel drüber zu und wartet.
    Seltsam, dass man ausgerechnet Kate darum gebeten hat.
Weder ist sie mit ihm verwandt, noch ist sie eine Freundin oder vertritt das
Konsulat. Sie ist einfach nur eine x-beliebige Person, von der man sich die
Identifizierung seiner Leiche erhofft. Im Kühlraum merkt sie plötzlich, dass
sie zu lange schweigt, obwohl er doch angeblich nur ein Bekannter ist, und so
nickt sie hastig. »Ja, er ist es.« Der Detective Inspector blickt sie verdutzt
an. In Wirklichkeit hat sie kein Wort herausgebracht. Sie versucht, ihre Stimme
wieder in den Griff zu bekommen. »Ja, er ist es.« Als sie seinen unenglischen
Namen ausspricht, die rollenden Konsonanten, bleibt ihr die Luft weg.
    »Danke, Miss L-L-L ...« Er kämpft wieder mit ihrem Namen.
»D-d-danke, Kate.«
    Dann verlassen sie den Raum und steigen die Treppe zum
nachmittagsgrauen Korridor hinauf, und sie stolpert über den Behälter für
medizinische Abfälle, in dem ein narzissengelber Plastikbeutel hängt. Warum
Gelb? Welch unpassende Farbe für diesen Ort! Sie ist verärgert - und doch auch
froh. Froh, dem trostlosen, eisigen Raum, dem Kellergeschoss entronnen zu sein,
froh, dass sie zum ersten Mal wieder etwas empfindet.
    Der Detective Inspector fährt sich mit den Fingern durchs
Haar, verwuschelt es aber noch mehr. Er bombardiert sie mit Fragen, wieder und
wieder, bis sie schließlich antwortet.
    »Wie gut haben Sie den Verstorbenen gekannt?«
    Besser als mich selbst, denkt sie und antwortet laut: »So
gut wie gar nicht.«
    »Er hat Sie als seine nächste Verwandte in diesem Land bezeichnet
- können Sie mir erklären, warum?«
    Sie zuckt die Schultern, bemüht sich um eine
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