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Neue Schuhe zum Dessert

Neue Schuhe zum Dessert

Titel: Neue Schuhe zum Dessert
Autoren: Marian Keyes
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nachher noch anrufen, aber hier geht alles drunter und drüber.« Sein Atem ging hastig. »Jemand muss die Pläne für den Prototyp rausgeschmuggelt haben, die Konkurrenz hat gerade eine Pressemitteilung rausgegeben – neues Produkt, fast identisch, ein Fall von Industriespio…«
    »Dad!«
    Bevor ich weiter erzähle, sollte ich erklären, dass mein Vater in der Verkaufsabteilung einer großen Schokoladenfabrik arbeitet. (Den Namen sage ich lieber nicht, ich möchte unter den Umständen lieber keine Gratiswerbung machen.) Er hat mein ganzes Leben da gearbeitet, und das Gute an dem Job war, dass er so viel von den Produkten mitnehmen konnte, wie er wollte – umsonst. Deswegen gab es in unserem Haus immer jede Menge Schokolade, und ich war beliebter bei den Kindern in der Straße, als ich es sonst möglicherweise gewesen wäre. Natürlich war es Mam und mir streng untersagt, Schokolade von einer Konkurrenzfirma zu kaufen, damit sie keinen »Marktvorsprung« bekämen. Obwohl ich mich über sein Verbot ärgerte (das eigentlich kein richtiges Verbot war, denn Dad war viel zu freundlich für Verbote), hatte ich nicht den Nerv, dagegen zu verstoßen, und obwohl es lächerlich ist, hatte ich das erste Mal, als ich ein Ferrero Rocher aß, ein schlechtes Gewissen. (Ich weiß, die Werbung ist ein einziger Witz, aber ich war von der Kugelrundheit der Ferreros beeindruckt. Doch als ich Dad gegenüber erwähnte, dass seine Leute auch mal die Kugelform ausprobieren sollten, sah er mich traurig an und sagte: »Hast du mir vielleicht etwas mitzuteilen?«)
    »Dad, ich bin hier bei Mam, und sie ist ganz durcheinander. Was soll das alles bedeuten?« Statt wie mit meinem Vater sprach ich mit ihm, als wäre er ein übermütiges Kind, das etwas sehr Törichtes tat, aber sofort davon ablassen würde, wenn ich das verlangte.
    »Ich wollte dich später anrufen.«
    »Du kannst jetzt mit mir sprechen.«
    »Jetzt passt es mir nicht.«
    »Jetzt muss es dir aber passen.« In mir stieg Panik auf. Er brach nicht gleich zusammen, wie jemand ohne Halt, aber genau das hatte ich erwartet, sobald ich ernsthaft mit ihm sprechen würde.
    »Dad, Mam und ich sind sehr besorgt um dich. Wir glauben, du bist vielleicht ein bisschen …« Wie sollte ich das sagen? »Ein bisschen verwirrt.«
    »Nicht die Spur.«
    »Das glaubst du. Menschen, die verwirrt sind, merken oft nicht, dass sie verwirrt sind.«
    »Gemma, ich weiß, ich war in letzter Zeit etwas abgelenkt, das ist mir durchaus bewusst. Aber das ist kein Zeichen von Senilität.« Das Gespräch verlief überhaupt nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Er klang nicht verwirrt. Auch nicht zerknirscht. Er klang so, als wüsste er etwas, was ich nicht wusste.
    »Was soll das alles bedeuten?«, fragte ich mit schwacher Stimme.
    »Ich kann jetzt nicht sprechen, wir haben hier ein Problem, mit dem ich mich befassen muss.«
    Ich sagte schnippisch: »Ich finde, der Zustand deiner Ehe sollte dir wichtiger sein als ein Schokoriegel mit Tiramisu-Gesch…«
    »Pssst!«, zischte er ins Telefon. »Soll das denn die ganze Welt erfahren? Ich bedauere, dass ich dir überhaupt davon erzählt habe.«
    Vor Angst verschlug es mir die Stimme. Er war noch nie böse auf mich gewesen.
    »Ich rufe wieder an, sobald ich kann.« Er klang bestimmt. Ein bisschen wie … komisch eigentlich … wie ein Vater.
    »Und?«, fragte Mam begierig, als ich aufgelegt hatte.
    »Er ruft später an.«
    »Wann?«
    »Sobald er kann.«
    Ich biss mir auf die Fingerknöchel und wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Er klang nicht verwirrt, aber er verhielt sich auch nicht normal.
    Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Ich war noch nie in einer solchen Situation gewesen, es gab weder ein Muster noch irgendwelche Anweisungen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als zu warten, auf Neuigkeiten, von denen ich intuitiv wusste, dass sie nicht gut sein würden. Und Mam sagte immer wieder: »Was denkst du denn, Gemma? Was denkst du?« Als wäre ich die Erwachsene und wüsste die Antwort.
    Zu meiner Ehrenrettung muss ich hinzufügen, dass ich nicht in forschem Ton sagte: »Na, dann wollen wir uns mal eine schöne Tasse Tee machen.« Oder: »Ich setze mal den Kessel auf.« Ich bin nicht der Meinung, dass man mit Tee jemals etwas in Ordnung bringen kann, und ich hatte mir fest vorgenommen, mich von keiner Krise, welcher Art sie auch sei, zur Teetrinkerin machen zu lassen.
    Ich überlegte, ob ich zu seiner Arbeit fahren und ihn zur Rede stellen
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