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Nebra

Nebra

Titel: Nebra
Autoren: Thomas Thiemeyer
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sprach man von der archäologischen Sensation des einundzwanzigsten Jahrhunderts, der Entdeckung zweier Funde, die in direktem Zusammenhang mit der Himmelsscheibe von Nebra standen. Direktor Dr. Moritz Feldmann, Landesarchivar und oberster Archäologe des Landes Sachsen-Anhalt, hatte es sich nicht nehmen lassen, anlässlich der Neuzugänge eine Pressekonferenz einzuberufen. Einhundertfünfzig Zeitungen, Rundfunk und Fernsehsender waren angeschrieben worden, verbunden mit der Einladung, dem Augenblick beizuwohnen, wenn die Funde der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Und alle waren sie gekommen. Wohin man auch blickte, es wimmelte von Fernsehteams aus aller Welt. Ein Stimmengewirr, das man nur als babylonisch beschreiben konnte, beherrschte den Raum. Über der Menschenmenge thronte Dr. Feldmann, der die Aufregung sichtlich genoss. Er stand auf einer Bühne, auf deren Rückseite sich ein riesiges Banner mit einer Abbildung der Himmelsscheibe befand. Rechts und links von ihm, in zwei Vitrinen aus Panzerglas, befanden sich die Pieces de resistance, die Herzstücke der neuen Ausstellung: ein bronzener Dolch mit goldenem Griff und juwelenbesetztem Knauf, auf dessen Schneide unzweifelhaft die Himmelsscheibe abgebildet war, und ein ebenso aussagekräftiger grauer Brocken aus Kalkstein, der den Namen Duncansby Head trug. Beiden Fundstücken war unzweifelhafte Echtheit bescheinigt worden, und beiden wurde nachgesagt, in direktem Zusammenhang mit der sagenumwobenen Himmelsscheibe zu stehen. Das Sensationelle an diesen Funden war weniger, dass die Scheibe damit zum ersten Mal und für alle sichtbar in einem archäologischen Kontext stand, sondern vielmehr, dass die Funde den Archäologen eine Richtung wiesen, in der sie künftig forschen würden.
    Während Dr. Feldmann in seinem Vortrag unermüdlich auf die Einzigartigkeit der beiden Objekte einging und sich nun anschickte, einen längeren Vortrag über die Schlüsselstellung der altorientalischen Reiche bei der Erfindung der Bronze zu halten, nutzte Hannah die Gelegenheit, sich still und leise von der Bühne zu entfernen. Dieser Medienrummel war nichts für sie. Sie hasste Menschenaufläufe, und Kameraobjektive waren ihr ein Greuel. Vor diesem Hintergrund war es sogar verzeihlich, dass Feldmann das Recht an der Entdeckung der Funde für sich selbst in Anspruch nahm, während Hannah von ihm als kleines Rädchen einer gut geölten Maschinerie beschrie-ben wurde, deren Aufgabe darin bestand, die Rätsel der Vergangenheit aufzuklären. Mochten andere ob dieser Ungerechtigkeit aus der Haut fahren, Hannah konnte darüber nur mit den Schultern zucken. Es erleichterte ihr eine Entscheidung, die ohnehin schon lange überfällig war. Sie wühlte sich zwischen den Presseleuten hindurch zum hinteren Teil des Saales, in dem sie John in Begleitung eines korpulenten kleinen Mannes mit Halbglatze entdeckt hatte. Der Hut, der falsche Spitzbart und die Sonnenbrille konnten nicht darüber hinwegtäuschen, wen sie vor sich hatte. »Ich grüße Sie, Mr. McClune«, sagte Hannah mit einem Augenzwinkern. »Ich freue mich, dass Sie Zeit gefunden haben, an unserer kleinen Zeremonie teilzunehmen. Wenn auch inkognito.«
    Norman Stromberg räusperte sich verhalten. »Das ließ sich nicht vermeiden. Um nichts in der Welt hätte ich Ihren Auftritt verpassen wollen. Auch wenn Sie, wie mir scheint, in beleidigender Weise übergangen wurden. Ich kann es kaum erwarten, diesem aufgeblasenen Feldmann die Geldzuweisungen zu kürzen, die ich ihm seit einigen Jahren regelmäßig zukommen lasse.«
    »Bitte tun Sie das nicht«, sagte Hannah. »Er hat nur das Wohl des Museums im Sinn, und vor diesem Hintergrund ist es absolut angebracht, dass er alle Aufmerksamkeit auf seine Person vereinigt. Ich selbst mache mir nicht viel aus Publicity, wie Sie wissen. Abgesehen davon, könnte er Verdacht schöpfen, dass Sie nicht der sind, der Sie zu sein vorgeben - jetzt, wo der Kopfstein von Duncansby dank Ihrer großzügigen Spende in den Besitz des Museums übergegangen ist. Lassen Sie am besten alles so weiterlaufen wie bisher.« Stromberg schüttelte den Kopf. »Sie sind zu großherzig«, sagte er. »Ich fürchte, mit dieser Einstellung werden Sie auch in Zukunft immer wieder auf Menschen stoßen, die Sie ausnutzen werden.« Lächelnd fügte er hinzu: »Aber Sie haben natürlich recht.« Er zog die Sonnenbrille ein Stück herunter, so dass ihre Augen sich trafen. »Sie wissen, dass ich Sie immer noch gern in meinem
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