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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss
Autoren: Markolf Hoffmann
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Doch er hatte sie nicht ausgerottet, hatte nicht Gleiches mit Gleichem vergolten. Was hätte er, der große, gütige Kaiser Torsunt gesagt, wenn er Akendors Rache beigewohnt hätte?
Wie würde Euer Vater sich schämen,
klang Binhipars Stimme in seinem Schädel, und erneut fühlte Akendor den warmen Körper von Suena Suant in seinem Arm, ein lebloser Brocken, und hörte das widerliche Geräusch ihres brechenden Halswirbels …
    Ein Knirschen erklang von der Tür. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Panisch wich Akendor in die Ecke des Raumes zurück, sodass er mit der Schulter gegen die Wand stieß. Zitternd starrte er auf die Gestalt, die sich durch die Türöffnung schob: ein Mann in einem grauen Mantel, den Kopf unter einer Kapuze verborgen. »Bleib weg, bleib weg«, flüsterte Akendor verzweifelt, »ich will dich nicht sehen!« Seine Hand krallte sich im Gestein fest. »Wollt ihr auch mich umbringen? Jämmerlich, jämmerlich seid ihr … erst Syllana und dann Ceyla … und ich bin nicht besser, nicht besser … das kleine, harmlose Kind!« Er sprang auf die Gestalt zu, packte ihren Mantel. »Was habe ich getan«, wimmerte er, »was habe ich getan!«
    Der Mann schlug die Kapuze zurück. Struppiges rotes Haar quoll unter dem Stoff hervor. »Seid still, mein Kaiser«, flüsterte er und griff nach Akendors Hand. »Wir müssen fort, jetzt gleich.«
    Akendor starrte den Mann ungläubig an. »Garalac«, stieß er hervor. »Was tust du hier? Hab dich doch fortgeschickt … du solltest nicht hier sein! Du solltest nicht …«
    Garalac packte den Kaiser an den Schultern. »Ich habe Eurem Vater geschworen, Euer Leben zu verteidigen, und das werde ich tun.« Er wies auf den Gang. »Wir haben nicht viel Zeit, mein Kaiser. Sie werden Euch im Kerker ermorden und Euren Sohn Uliman auf den Thron setzen. Kommt! Folgt mir!«
    Akendor schüttelte den Kopf. »Nein« flüsterte er, »lasst mich zurück. Ich habe den Tod verdient. Ich bin nicht besser als sie, nicht besser …«
    Zorn flackerte in Garalacs Augen auf. »Kommt jetzt, oder muss ich Euch zwingen, mir zu folgen?« Er schüttelte den Kaiser brutal an den Schultern.
    Damit war Akendors Widerstand gebrochen. Er ließ sich von Garalac ein graues Gewand überstreifen und auf den Gang zerren.
    Eine Tür fiel zu. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Dann herrschte Stille im Kerker. Nur leise, ganz leise war der Wind zu vernehmen, der gegen Thakstels Mauern schlug; Thakstels Mauern, in denen so bald kein Kaiser mehr regieren sollte.

EPILOG
    Der Sturz … er konnte sich genau an ihn erinnern. Immer tiefer war sein Körper gefallen, tief hinab in die Schlucht, um ihn nichts als der nasskalte Dunst und der Gesang der Quelle. Er war bewusstlos geworden während des Falls; war erst erwacht, als sein Körper in die Fluten eingetaucht war: Eiskalt schäumte und sprudelte das Wasser um ihn, als er kopfüber darin versank. Der Strom drückte ihn nach unten und riss ihn gleichzeitig mit sich. Wie eine achtlos fortgeworfene Puppe wurde er umhergeschleudert; seine Hand prallte gegen einen Felsen, seine Lunge füllte sich mit Wasser.
    Wieder und wieder sah er Naikayas Gesicht vor sich; sah das Entsetzen und den Ekel in ihren Augen, als sie ihn in die Schlucht gestoßen hatte.
›Sie haben dich nach Oors Caundis geschickt, um uns zu vernichten^,
hatte sie ihm ins Gesicht gespieen, ihn gepackt und in die Tiefe hinabgeworfen. Er konnte es ihr nicht verdenken.
Ich brachte ihnen den Tod. Ich habe die Goldei nach Oors Caundis gebracht,
fuhr es ihm durch den Kopf, während sein Körper sich erneut überschlug,
die Maske hat mich zu einem der ihren gemacht.
Er wehrte sich nicht gegen den reißenden Strudel, der ihn in die Tiefe zog.
Es ist besser, wenn ich sterbe. Ich bin verflucht; ich bringe den Tod, wohin ich auch gehe!
    Als ihm die Sinne zu schwinden drohten, fühlte er sich plötzlich emporgezogen. Kleine Hände griffen nach seinen Unterarmen und Füßen, zerrten an den Amuletten, die um seinen Hals hingen. Sein Kopf tauchte aus dem Strom, und hustend erbrach er das Wasser, das er geschluckt hatte.
    Es war finster um ihn, er vermochte nichts zu erkennen. Doch er spürte, wie unzählige Hände an ihm zogen, und er glaubte in der tobenden Flut ein Raunen zu vernehmen. Seine Finger ertasteten einen Felsen; er versuchte sich emporzuziehen, doch seine Kräfte versagten. Schließlich erfasste ihn ein Schwindel, und er sank zurück in das eisige Wasser, wo er endgültig das Bewusstsein
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