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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
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entgangen“, fauchte Josephine und stemmte die Fäuste in ihre Hüften, „aber wir ersticken hier in Arbeit. Da kann es schon mal vorkommen, dass ich vergesse, den Mist beiseite zu räumen. Aber ich liebe meine Tiere. Jedes einzelne. Nur damit das klar ist.“
    Der Indianer lächelte herablassend. „Das sieht mir nicht so aus. Hier stinkt es. Es ist dunkel. Würdest du dich hier wohlfühlen? Ach ja, ich vergaß. Für euch sind es nur Tiere. Fleisch. Sportgeräte. Gegenstände.“
    „Wie bitte?“
    „Ihr redet und redet, ohne etwas zu wissen. Eure Zeit läuft und kommt nie irgendwo an.“
    Josephine stieß schnaufend Luft durch ihre Nase und klang wie eines ihrer Pferde. „Was ist das für ein Geschwafel? Ist das bei euch genetisch?“
    „Es ist nur die Wahrheit. Mach die Augen auf, dann siehst du es.“
    „Wenn du so allwissend bist und meinst, uns allen was vormachen zu können, dann arbeite doch für mich. So jemanden wie dich könnte ich gut gebrauchen. Bei den Reden, die du schwingst, musst du ja gewaltig was auf dem Kasten haben. Nur zu, ich will in Ehrfurcht erstarren.“
    Der Mann bedachte sie mit einem Blick, dessen unverhohlener Spott Josephine empörte. Ungerührt wusch er sich die Hände unter dem Wasserhahn, trocknete sie an seiner Hose ab und wandte sich zum Gehen. Ihr klappte der Kiefer nach unten. Er wollte gehen? Ohne irgendeine Erklärung? Ohne ein weiteres Wort?
    „Was ist jetzt?“, warf sie ihm hinterher. „Willst du uns nicht zeigen, wo es lang geht? Oben über den Ställen sind zwei Wohnungen frei. Du kannst dir eine aussuchen. Ich meine es ernst. Zeig mir, was du draufhast. Ansonsten gehe ich davon aus, dass hinter deiner großen Klappe nur heiße Luft steckt.“
    Der Indianer erwiderte nichts. Eine Weile blieb er reglos stehen, übergossen von Mondlicht, das auf seinem langen Haar glänzte. Erst, als sie ein zweites Mal wütend geschnauft hatte, wandte er sich zu ihr um. Langsam und bedächtig. Sein düsterer Blick ging Josephine durch Mark und Bein.
    „Ich arbeite für niemanden“, stieß er hervor, als wären die Worte widerwärtig schmeckender Dreck. „Gute Nacht.“
    Seine Reaktion traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Josephine rang nach Luft, fassungslos, so gefühlskalt abgewiesen zu werden. Sie spürte, wie Hitze in ihr aufloderte, verzehrender wurde und ihr die Kontrolle raubte.
    „Mein Vater hatte also recht“, hörte sie sich knurren. „Ihr drückt euch vor Arbeit.“ Die Worte waren aus ihr herausgesprudelt, ohne dass sie sie hätte zurückhalten können. Doch hier und jetzt wollte sie auch nichts zurückhalten. Denn eines stand fest: Sie wollte ihn verletzten. So wie er sie verletzt hatte. Jenes berüchtigte Temperament übernahm die Kontrolle, das ihr schon oft den Verstand und jegliche Contenance geraubt hatte. Die Wirkung ihrer Worte wurde Josephine nur einen Atemzug später bewusst. Die Gestalt des Mannes straffte sich. Seine Augen verwandelten sich in schmale Schlitze. Dann kam er auf sie zu. Nein, er schlich auf sie zu. Langsam und mit der lauernden Geschmeidigkeit eines Raubtiers. Sie konnte seine Wut schier riechen. Sie schwängerte die Luft wie die Hitze eines Lavastromes. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Auch sie war wütend.
    „Wir arbeiten tagein, tagaus. Die Arbeit frisst uns auf. Ich weiß nicht mehr weiter, ich rackere mich ab, wir alle rackern uns ab, aber es wird nicht besser. Und was macht ihr? Ihr sitzt herum und jammert, wie schlecht es euch geht, seit man euch der Steinzeit entrissen hat.“
    Josephine ohrfeigte sich innerlich, doch es half nichts. Der lebensmüde Fatalist in ihr hatte den Vernunftmenschen nicht nur beiseitegedrängt, er hatte ihn bewusstlos geschlagen. In ihr brodelte es. Sie hatte Angst, aber ihre ohnmächtige Wut war größer. Vermutlich würde sie ihre Worte bereuen. Aber das änderte nichts an ihrem jetzigen Zustand.
    „Wie war das?“ Der Mann blieb einen Schritt vor ihr stehen. „Sag es mir noch mal direkt ins Gesicht.“
    Die Muskeln unter seinem Hemd zuckten. Hände ballten sich zu Fäusten. Wenn er zuvor Gefahr verströmt hatte, war es nun, als würde er Josephine jeden Augenblick verbrennen. Seine Präsenz ließ ihren Atem verdorren. Jetzt, im fahlen Licht der Stalllampe, wirkten seine Züge wie aus versteinertem, bronzenem Holz geschnitzt.
    „Sie arbeiten für niemanden“, brachte sie heiser hervor. „Wie soll ich das sonst verstehen? Wir ackern uns halb tot, nur um Monat für Monat irgendwie über die
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