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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
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Gestank nach Todesangst verebbte. Blut tropfte aus der Schnauze des Luchses auf den Waldboden. Er war zu spät gekommen. Die Wut kratzte an seiner Beherrschung. Es gab die Jagd für Nahrung, die er sein Leben lang praktiziert hatte und die er niemals missbilligt hätte. Aber hier hatten Menschen ohne Respekt aus niederen Gründen getötet. Was sie getan hatten und weiterhin tun würden, wenn er nicht eingriff, stand im Gegensatz zu allem, was heilig war. Und deshalb würde er das Spiel umso mehr genießen. Nathaniel nahm sich die Zeit, seine Opfer gründlich zu studieren. Der rothaarige, drahtige Kerl entpuppte sich als ein Firmenchef aus St. Louis namens Ian. Die beiden anderen waren frischgebackene Partner seines Unternehmens, Malcolm und Barry. Dunkelhaarige, aufgedunsene Bürohengste, die die Tatsache, von Wildnis umzingelt zu sein, zutiefst verunsichernd fanden. Zwei unscheinbare Männer ohne jedes auffallende Merkmal, die sich in Ians Halo aus Macht aalten und hofften, etwas von dem Glanz zu ergattern. Herrscher und Untergebene. Das ewig gleiche Spiel.
    Dennoch wurde Nathaniels Neugier geweckt. Die Witterung des Anführers war ungewöhnlich. Eisklar und scharf, ohne jede Maske. Ian war ein Mensch, der keine Kompromisse einging. Ein geborener Herrscher, dessen Stärke nicht antrainiert war, sondern ihn seit seinem ersten Atemzug durchdrang. Naturgegebene Dominanz. Stärke von solchem Ausmaß bedeutete Sicherheit und Gefahr gleichermaßen. Sicherheit, solange man sie auf der eigenen Seite wusste. Gefahr, wenn sie sich gegen einen wandte.
    Während Nathaniel den Mann musterte, gedenkend an jene Zeit, da er auf gewisser Ebene genauso gewesen war, grübelte er über eine passende Illusion nach. Das Reservatsland war bekannt für seine
Geister des Waldes
– weiße Maultierhirsche, derenZahl dank rigorosem Schutz seit Jahrzehnten wuchs. Begonnen hatte es in den Achtziger Jahren mit einer einzelnen Kuh. Das Tier hatte seine Gene weitervererbt und neben vier normal gefärbten Kälbern zwei weiße zur Welt gebracht. Inzwischen war ihre Zahl auf ein Dutzend angestiegen. Sechs Kühe, vier Hirsche und zwei Kälber aus diesem Jahr. Keinem Absarokee wäre es in den Sinn gekommen, eines dieser Tiere zu töten, doch die Aussicht auf seltene Trophäen hatte schon viele Jäger über die Grenzen des Reservatlandes gelockt. Einem Geist des Waldes würden diese selbst ernannten Helden kaum widerstehen können.
    Nathaniel verbarg seine Wut hinter einer Maske aus Beherrschung, pflanzte Malcolm die Illusion eines entsprechenden Tieres ein und wartete ab, was geschah.
    Abrupt sprang das Opfer seiner Manipulation auf, riss sein Gewehr an sich und gab einen Schuss ins Dunkel ab.
    „Was’n jetzt?“ Ian paffte an seiner Zigarette. „Sticht dich der Hafer?“
    „Da war ein Weißer.“ Malcolm schlich zu der Stelle, an der er das Tier erblickt hatte. Er suchte nach Spuren, drehte sich, bückte sich und tastete den Boden ab. „Ich habe ihn gesehen. Ein Prachtstück.“
    „Die würden nie so nah ans Feuer kommen.“ Ian winkte ab. „Außerdem sind sie oben in den Bergen. Nicht hier im Tal.“
    „Schon klar. Aber er war da. Ich sag’s euch. Er war da. Hatte wenigstens fünfzehn Enden auf’m Kopf.“
    „Träum weiter“, knurrte Barry.
    „Wenn ich’s dir sage. Komm her, seine Spuren müssen hier sein. Verdammt … ich sehe die Hand vor Augen nicht. Wirft mir mal einer ne Lampe rüber?“
    Ian seufzte. „Komm zurück, Mann. Wir haben, was wir … Scheiße noch ein’s!“
    Nathaniel hatte sowohl Ian als auch Barry dieselbe Illusion eingepflanzt. Beide Männer sprangen auf, entsicherten ihre Waffen und stolperten vor Hast über die eigenen Beine. Zwei Kaffeetassen und ein Snickers Riegel samt Zigarette flogen ins Gebüsch.
    „Ich werd nicht mehr“, zischte Barry. „Der Scheißkerl hatte recht.“
    „Den schnappen wir uns.“ Ian ließ seine Gefährten mit einer herrischen Geste innehalten. „Los, holt die Taschenlampen. Wir versuchen, ihn zu blenden. Seht ihr ihn? Verdammt, wo ist er jetzt? Wo ist er hin? Ihr wart zu laut, ihr Hornochsen.“
    Nathaniel warf den für diesen Zweck mit auf den Baum genommenen Stein in den Wald hinaus. Irgendwo, geschätzte dreißig Meter entfernt, fiel er mit einem vernehmlichen Geräusch zu Boden. Die Männer änderten schlagartig ihre Richtung.
    „Das gefällt mir nicht“, zischte Barry. „Müssen wir hier im Dunkeln rumschleichen?“
    „Schnauze!“
    „Es ist scheißdunkel, Mann. Hier
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