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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
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erneut in desolatem Zustand irgendwo herumhängst.“
    „Ich habe nicht vor, noch mal desolat irgendwo rumzuhängen.“
    Der Indianer nickte ernst. „Das läge auch in meinem Interesse.“
    „Also gut. Von mir aus besuche dein Refugium, solange du sonst keinen Ärger machst. Aber um eines klarzustellen: Das Einverständnis lag auf beiden Seiten. Ich war bei den Verhandlungen dabei, und von einem heiligen Ort war nie die Rede.“
    „Es war die Dummheit einiger Weniger. Aber diese Wenigen werden immer mehr.“
    Als er sich aufrichtete, fing sich das Mondlicht in seinen Creolen. Josephine konnte nicht umhin, sein Profil anzustarren. Es lag etwas Hochmütiges darin. Nein, korrigierte sie sich, nur unverschämter, aber vollkommen natürlicher Stolz. Im Geiste sah sie ihn auf einem bemalten Pferd sitzen, herausgeputzt wie auf einem Howard Terpning Gemälde und thronend über der gesamten Welt, die zu seinen Füßen lag. Sie schwiegen sich mit einer Intimität an, die Josephines Herzschlag beschleunigte. Hilflos heftete sie ihren Blick wieder auf den Talisman, nur um nach zwei Atemzügen höher zu gleiten und die Linie seines Kiefers anzustarren. Eine Haarsträhne lag auf seinem Hals und bewegte sich kaum merklich im Rhythmus des Pulsschlags.
    „Man hat uns nicht um unsere Meinung gebeten, als das Land verkauft wurde“, fuhr er schließlich fort. „Ich befand mich eine Woche auf Reisen, und bei meiner Rückkehr war mein Zufluchtsort von Zäunen abgesperrt. Ein paar aus unserem Rat haben sich zusammengetan und hielten es für eine gute Idee, ihr eigenes Ding durchzuziehen.“
    „Dann bist du also doch über die Zäune geklettert.“
    „Erwischt. Und was willst du jetzt machen?“
    „Ich könnte es dir verbieten. Und, falls du mir nicht gehorchst, dich wegen Hausfriedensbruch anzeigen.“
    „Falls ich dir nicht gehorche? Interessant.“ Sein inspiriertes Grinsen ließ ihr Herz noch heftiger schlagen. Wütend presste Josephine die Lippen aufeinander und befahl ihrem Körper, Ruhe zu bewahren. Er spielte mit ihr. Eindeutig. Aber sie war noch nie eine leichte Beute gewesen. Für niemanden.
    „Es war seit Ewigkeiten mein heiliger Ort“, sagte der Indianer. „Es war unser heiliger Ort.“
    „Das tut mir leid. Aber wir halten uns an die Auflage, das Land pfleglich zu behandeln.“
    „Tut ihr das?“
    „Wie meinst du das?“
    „Ich sehe Zäune, Felder, Gebäude und gerodete Bäume. Ich sehe Lichter, höre Stimmen. Mein Ort ist nicht mehr der, der er einmal war.“
    „Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert. Wir wollen auch nur über die Runden kommen. Und das können wir nicht, wenn wir in Höhlen leben und Kaninchen fangen.“
    „Mag sein. Aber jetzt zu was anderem.“ Er hakte die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Hose und fixierte sie mit lauerndem Blick.
    „Ja?“, knirschte Josephine. „Was ist los?“
    „Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass mir deine Art, mit Pferden umzugehen, nicht gefällt?“
    Sie kniff ein Auge zusammen. „Wie bitte?“
    „Das Sattelpad hatte eine dicke Falte, die unbequem für das Pferd war. Seine Maulwinkel sind eingerissen, vermutlich, weil du wie eine Besessene am Zügel gezerrt hast. Der Stall lässt zu wünschen übrig. Wie würde es dir gefallen, ständig umgeben zu sein von Zäunen, Kandaren, Stricken und Gittern, damit du dort bleibst, wo du bist und tust, was man dir sagt?“
    Sie starrte ihn an. „Was willst du damit sagen? Dass ich meine Tiere misshandele?“
    „Du respektierst sie nicht“, gab er schroff zurück. „Euch geht es nur um das eigene Wohl. Ihr wollt möglichst viel Geld, ihr wollt, dass die Pferde beim Verkauf möglichst viel Gewinn einbringen, sodass ihr euch zufrieden in eurem Wohlstand suhlen könnt. Denkst du, das Pferd wäre noch hier, wenn es frei entscheiden könnte? Bei euch geschieht alles unter Zwang. Ihr liebt es, Geschöpfe zu allem Möglichen zu zwingen. Euer Weg ist falsch, aber ihr glaubt, er sei der einzig wahre.“
    Er legte eine Hand sacht unter Max’ Kinn und ging in Richtung Stalleingang. Der Buckskin trottete ihm so gelassen hinterher, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Sprachlos folgte Josephine ihnen, während sie fieberhaft nach Worten suchte. In seiner Box stapfte Max zufrieden durch das Stroh – natürlich hätte sie längst ausgemistet werden müssen – und bedankte sich bei seinem Wohltäter, indem er ihm zärtlich das Maul gegen die Brust drückte.
    „Es ist dir vielleicht
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