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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
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seines Hemdes gab jetzt, da er sich ein wenig vorbeugte, den Blick auf eine glatte Brust frei. Etwas Helles schimmerte auf den gewölbten Muskeln. Narben vielleicht? Doch ehe sie sicher sein konnte, richtete der Mann sich wieder auf.
    „Ja“, flüsterte sie. „Wer bist du?“ Die Unverschämtheit, dass er sie nicht höflich mit
Sie
ansprach, war momentan zweitrangig. Dennoch zahlte sie es ihm mit gleicher Münze heim. „Was machst du hier?“
    Der Mann antwortete mit Schweigen. Seelenruhig massierte er ihren Fuß und sorgte dafür, dass prickelnde Hitze ihr Bein hinaufkroch. Die Schmerzen wichen. Hypnotisiert verfolgte Josephine die sanften, rhythmischen Bewegungen seiner Hände, während ihr Verstand an der Realität dieser Situation zweifelte und doch langsam und genüsslich resignierte. Als der Mann seine Behandlung nach wenigen, viel zu kurzen Momenten beendete, wich er zurück und sah sie an. Sein Gesicht war schmal, seine Wangenknochen hoch. Die Nase gerade so hauchfein gebogen, dass sie seinem Aussehen eine würdevolle Noblesse verlieh.
    Welch ein Kontrast zu Daniel, der offen und freundlich, aber in äußerlicher Hinsicht völlig durchschnittlich gewesen war. Dieser Kerl war dunkel. Undurchschaubar. Er hätte einem alten Gemälde entsprungen sein können. Einer verklärten Darstellung all jener Tugenden, die romantische Gemüter seinem Volk zugeschrieben hatten. Würde, Stolz und wilde Schönheit.
    „Versuch aufzustehen“, verlangte er.
    „Ich … weiß nicht.“
    „Versuch es.“
    Widerwillig gehorchte sie und war überrascht. Es tat nicht mehr weh. Der Schmerz war verschwunden. Die Verwunderung war zu groß, um sie in Worte zu fassen.
    „Ich denke“, sagte der Mann mit einem leichten Neigen seines Kopfes, „du kannst jetzt nach Hause laufen. Es war mir eine Ehre. Du darfst mich jederzeit wieder anfauchen.“
    „Der Fuß war gebrochen. Ich weiß es genau.“ Josephine war überfordert. Ihr Verstand drohte, zu kapitulieren.
    „Nein, nur verstaucht.“
    „Ich war jahrelang Krankenschwester. Ich bin sicher, dass er gebrochen war. Und selbst wenn du recht hast, hören solche Schmerzen nicht einfach auf. Was hast du gemacht?“
    „Uralte indianische Magie.“ Die düstere Reglosigkeit seines Gesichtes wurde von einem Grinsen abgelöst, das Josephine als pure Herausforderung wertete. „Belassen wir es dabei. Kannst du damit leben?“
    „Nein.“
    Plötzlich heulte der Wolf erneut. So nah, dass Josephine zusammenzuckte. Den Indianer beunruhigte es nicht. Sein Lächeln gefror zu einer starren Maske, während er sie musterte. Lauernd wie ein Raubtier und mit unverschämter Intensität. Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Etwas Kaltes kroch durch ihr Gehirn, als schäle der starre Blick des Fremden Schicht für Schicht ihren Geist frei, um ihr verletzliches Inneres zu entblößen.
    „Ich könnte dich nach Hause begleiten“, überlegte der Mann. „Aber vermutlich willst du das nicht. Immerhin bin ich ein Fremder, der nachts unverschämterweise auf deinem Grundstück herumschleicht.“
    „Nein … ich …“ Vermutlich war sie bei dem Sturz heftig mit dem Kopf aufgeschlagen. „Ich denke …“
    „Ja?“
    Sein Blick glitt tiefer zu ihren Brüsten. Unwillkürlich schlang Josephine die Arme um ihren Oberkörper.
    „Du bist kein Werwolf oder so was?“
    Sie hatte ihre Angst und Unsicherheit mit Witz überspielen wollen. Doch dieser Versuch war gründlich in die Hose gegangen.
    „Auf was für Ideen kommst du?“ Der Fremde lachte herzhaft. „Nein, bin ich nicht. Enttäuscht?“
    „Wieso?“
    „Frauen mögen wilde Tiere.“
    Er wandte sich um und schritt den Pfad hinab. Einen Moment verharrte Josephine. Erst, als seine schlanke Gestalt in der Finsternis des Waldes verschwamm, setzte sie sich in Bewegung. Nicht einmal der Nachhall von Schmerz war in ihrem Fuß spürbar. Als hätte sich der Knochen wie unter der magischen Berührung selbst repariert. Doch an Magie glaubte Josephine nicht.
    Während des gesamten Weges wechselten sie nicht ein Wort. Der Mann schritt vor ihr daher, als wäre er seit Ewigkeiten hier zu Hause, während sie ihm wie ein Schatten folgte. Noch einige Male heulte der einsame Wolf, doch er schien sich zu entfernen. Möglicherweise hatte er enttäuscht den Rückzug angetreten, weil sein Abendessen unerwartete Verstärkung erhalten hatte.
    Nach wie vor war Josephine vor Verblüffung wie betäubt. Der Halbmond, der zwischen den Wipfeln der Tannen leuchtete und die
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