Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
Vom Netzwerk:
durchgeweichte Jeans gegen eine braune Cordhose. Mit fahrigen Bewegungen drückte sie ihren vollgesogenen Zopf über der Küchenspüle aus, dachte darüber nach, sicherheitshalber ein Messer in ihren Hosenbund zu stecken, und rannte schließlich keuchend vor Eile und waffenlos zurück zum Stall. Im Notfall konnte sie schreiend flüchten oder ihm ein Knie in das Gemächt rammen. Es gab zahllose Versteckmöglichkeiten auf der Farm und Jacob besaß nicht nur einen leichten Schlaf, sondern auch eine Knarre, mit der er umzugehen wusste.
    Als Josephine zurückkehrte, war der Fremde in aller Seelenruhe damit beschäftigt, den Buckskin zu versorgen. Er hatte den Schalter der Stalllampe gefunden, nach dem Unwissende normalerweise ewig suchten, weil er versteckt hinter einem wackeligen Regal voller Hufbalsam und Werkzeug lag. Nun malte fahles, gelbes Licht einen Halbkreis in die Nacht, was die Zikaden auf der Wiese animierte, noch lauter zu zirpen und ein Käuzchen aus dem Wald herbeigelockt hatte, das nun auf dem Weidezaun hockte. Konfus lehnte Josephine sich gegen die Stallwand und beobachtete das Geschehen. Der Mann holte einen Eimer Wasser, um mit einem Lappen die Schweißstellen abzuwaschen, die sich unter dem Lederzeug und zwischen den Hinterbeinen des Pferdes gebildet hatten. Er ließ sich Zeit für seine Arbeit. Eine meditative Ruhe lag in allem, was er tat. Max ließ sich willig von dieser Ruhe einhüllen. Vermutlich war sie für ihn eine willkommene Abwechslung, kannte er doch sonst nur Hektik, verkniffene Gesichter und fahrige Gesten, begründet in der Tatsache, dass Zeit auf der Farm ein knappes Gut darstellte. Behutsam rieb derMann das feuchte Fell des Tieres mit einem Tuch trocken, das er offenbar ebenso mühelos gefunden hatte wie den Lichtschalter. Durchblickte er etwa ihr Chaos? Seinen Bewegungen zuzusehen, sandte einen wohligen Schauder der Entspannung durch Josephines Körper. Zumindest in diesen Momenten, da er sich mit überraschender Behutsamkeit um das Tier kümmerte, erschien es ihr undenkbar, dass dieser Fremde über eine gewalttätige Ader verfügte. Und doch signalisierte irgendetwas ihrem limbischen System, dass Gefahr in seinem Wesen lag. Warum? Hatten die Hände, die sanft das Pferdefell streichelten, schon Schmerzen zugefügt? Lag die Kälte in seinem Blick darin begründet, dass Hass und Zorn zu seinem Leben gehörten?
    Max schnaufte selig, als seine Hufe ausgekratzt wurden. Dankbar drückte er seine Stirn gegen den Oberkörper des Mannes, der seine Arbeit daraufhin unterbrach und dem Tier liebevoll die Mähne zerzauste. Josephine wechselte von einem Bein auf das andere. Zweifellos, der Finsterling aus dem Wald verstand sein Handwerk. Zwar konnte man das in Montanas Wildnis von so ziemlich jedem behaupten, doch in der Art, wie er mit Max umging, lag eine Vertrautheit, die außergewöhnlich war.
    „Du hast selbst Pferde?“, mutmaßte Josephine und drehte ihren Zopf zwischen den Fingern. Nervosität flutete ihren Geist, denn ein zuvor nur schwammig vorhandener Gedanke nahm plötzlich drängende Klarheit an. Vermutlich würde sie ihn dennoch für sich behalten. So, wie sie sich einschätzte.
    „Ich hatte mein Leben lang Pferde“, antwortete er kühl. „Ich lernte reiten, noch bevor ich laufen konnte. So war es Sitte bei uns.“
    „Du bist wohl sehr traditionell aufgewachsen.“
    „Kann man so sagen.“
    Josephine räusperte sich. „Verrätst du mir, warum du nachts hier rumläufst?“
    Die Mundwinkel des Indianers zuckten. „Warum? Willst du mich anzeigen?“
    „Nicht, solange du uns in Ruhe lässt.“
    „Ich hätte mich dir niemals gezeigt, wenn du nicht hilflos vor mir auf dem Waldweg gehockt hättest. Wenn ich nicht gesehen werden will, sieht mich auch niemand.“
    „Aha. Tarnmodus, oder was?“
    „Nein. Langjährige Erfahrung im Herumschleichen.“
    „Heißt das, du streunst schon seit Längerem auf meinem Farmgelände herum? Seit wann?“
    Für die Dauer eines Herzschlags funkelte Empörung in den Augen des Mannes auf. „Auf dem Gelände der Farm befindet sich ein Ort, den ich gern besuche. Er bedeutet mir viel. Manchmal gehe ich nachts dorthin, um nachzudenken. Ich war wütend, als man das Land hier verkauft hat, denn es war mir heilig. Es war meinem Stamm heilig. Aber ich will dich nicht mit der alten Leier belästigen. Wie wäre es mit einem kleinen Deal? Du lässt mich, wie du es nennst, auf deinem Farmgelände herumstreuen. Ich schleppe dich dafür nach Hause, falls du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher