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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
Autoren: Antonia Michaelis
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die späten Nebel dreh’n,
    werd’ ich bei der Laterne steh’n
    wie einst, Lili Marleen.
    Wie einst, Lili Marleen.

19 Leere
    Gunnar schaffte es. Er verbrachte eine Woche in der Klinik. Er hatte eine Menge Blut verloren. Er hatte ernsthafte Wunden am Hals, im Gesicht und an den Oberarmen.
    Die Obduktion ergab, dass Nashville an einer Herzbeuteltamponade gestorben war. Durch einen Messerstich war der Herzbeutel angeritzt und bei jedem Herzschlag mehr Blut hineingepumpt worden, was unweigerlich zu einem Herzstillstand führt. Man konnte sich diesen Umstand merken, für spätere Testate und Klausuren.
    Oder auch nicht.
    Wie gezielt das Messer in den Herzbeutel eingedrungen war, blieb fraglich.
    Oder auch nicht.
    Die Rechtslage sagte: Notwehr.
    Svenja zog in die Bauwagensiedlung. Für eine vorübergehende Weile.
    Sie holte ihre Sachen nicht selbst. Katleen holte sie, als Gunnar nicht da war. Sie warf Svenjas Schlüssel hinterher nicht in den Briefkasten mit der Aufschrift
HOLZEN
. Sie warf ihn in den Neckar.
    Svenja besuchte Gunnar im Krankenhaus. Keiner der anderen ging mit.
    Er lag da und sah sie an. Sie ging zum Fenster und spürte seinen Blick im Rücken.
    Sie sagte nichts.
    »Ich hoffe, du glaubst das nicht«, sagte Gunnar. »Was Friedel und die anderen versucht haben sich einzureden. Ich habe das nur gesagt, mit dem Haus Nummer drei, damit sie mich loslassen. Ich hatte Angst.«
    Svenja stand am Fenster und schwieg. Draußen flogen ein paar Stadttauben vorüber.
    »Und das mit Nashville, Svenja … Es tut mir leid«, sagte Gunnar. »Unermesslich leid. Wenn ich irgendetwas tun kann, irgendetwas … Ich habe ihn auch gemocht, das weißt du. Sehr.«
    Svenja schwieg. Sie lächelte, während sie schwieg.
    Es war überraschend wunderbar, zu schweigen. Es machte unverwundbar. Und es verwundete andere, auf eine unerklärliche Art und Weise.
    »Es war schön, mit euch auf dem Dach zu sitzen und Melone zu essen«, flüsterte Gunnar. »Das war vielleicht das Schönste.«
    Sie schwieg eine halbe Stunde lang, dann verließ sie die Klinik.
     
    Ihre Mutter half ihr, einen Anwalt zu finden. Sie kam und hörte sich alles an und bezahlte den Anwalt. Er sprach mit Friedel und Katleen und Kater Carlo und Thierry und Christin und einer Menge anderer Leute. Aber Gunnar hatte in der Unterführung nichts gesagt außer »Im Haus Nummer drei« und »Im Keller«, und dort hatten sie Nashville nicht gefunden. Es gab natürlich Spuren in dem Raum, Spuren von Nashville. Aber er hatte schon vorher in diesem Haus gewohnt, war vielleicht vorher im Keller gewesen. Niemand konnte beweisen, dass er je in dem Kellerraum eingesperrt war. Oder dass es einen Zettel gegeben hatte, den Gunnar geschrieben hatte, um ihn dorthin zu locken. Falls es zwischen Staub und Dreck winzige Fetzen eines solchen Zettels gab, wurden sie nicht gefunden.
    Die Sache zog sich.
    Die Zeitungen schrieben. Sie schrieben, was die Leute gesehen hatten: Sie hatten einen verwahrlosten Jungen mit dunklem Blick gesehen, wahnsinnig, besessen, der auf einen jungen Mann zurannte und auf ihn einstach. Der Mann hatte sich gewehrt. Das war nur natürlich.
    Fraglich war, ob der Junge etwas mit den Morden der letzten Zeit zu tun hatte. Als die ganze Geschichte nach und nach ans Licht kam, schien es wahrscheinlich. Das Kind einer Pennerin. Die Waffe, mit der sie umgebracht worden war, war voll mit den Fingerabdrücken des Kindes. Es hatte sie behalten. Es war dieselbe Waffe, mit der es auf den HNO -Arzt am Nonnenhausplatz eingestochen hatte. Im Übrigen auf den Mann, der das Kind eine Weile bei sich aufgenommen und ihm ein Dach über dem Kopf gegeben hatte.
    Aber die Leute, die nur nehmen, die in den Straßen sitzen und betteln, die Leute mit der Dunkelheit im Blick, man weiß das, sind undankbar. Der Junge hatte nicht viel besessen. Aber eine Sammlung aus gestohlenen Messern.
    Ein angesehener älterer Oberarzt erinnerte sich, wie der Junge ihn auf einem Gartenfest mit einer Scherbe angegriffen und verletzt hatte.
    Ein Angestellter der Stadt, der mit der Räumung des Hauses Nummer drei in der Ulrichstraße betraut worden war, erinnerte sich an eine ähnliche Szene. Derselbe Junge hatte ihn mit einem Messer bedroht. Im Haus Nummer drei hatte der Junge eine Weile bei ein paar Studenten gelebt, die sich aber nicht wirklich um ihn gekümmert hatten. Sie schienen mehr damit beschäftigt gewesen zu sein, auf ihrem Balkon Cannabis zu züchten und den Nachbarn illegal Strom abzukaufen, um in
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