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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman
Autoren: dtv
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Pferd gerissen und schlugen nun auf ihn ein.
    Wie ein Pfeil schoss Reynevan durch das Spalier der an den Beinen aufgehängten Schweinehälften. Die Metzger sprangen vor Schreck zur Seite, trotzdem riss er einen um, der einen halben Ochsen auf seinen Schultern balancierte. Der Umgeworfene rollte mit seiner Last bis dicht vor die Hufe von Wittichs Ross, dieses scheute und stieg, von hinten prallte Wolfhers Pferd dagegen. Wittich fiel vom Sattel direkt auf die Metzgerlade, mit der Nase hinein in Leber, Lunge und Nieren. Wolfher stürzte auf ihn drauf, mit einem Bein im Steigbügel hängen bleibend, und bevor er sich noch befreien konnte, begrub er einen großen Teil der Fleischbank unter sich und beschmierte sich bis über die Ohren mit Schlamm und Tierblut.
    Reynevan beugte sich rasch und in letzter Minute über den Pferdehals und tauchte so unter dem Holzschild hindurch, das ein gemalter Schweinekopf zierte. Dieter Haxt, ihm dicht auf den Fersen, schaffte es nicht mehr, sich zu bücken. Das Brett mit dem Konterfei eines lächelnden Schweines schlug ihm gegen die Stirn, dass es krachte. Dieter fiel aus dem Sattel in einen Haufen Abfälle, von denen er die Katzen vertrieb. Reynevan wandte sich um. Nur noch Niklas verfolgte ihn.
    In vollem Galopp bog er aus der Fleischergasse auf einen kleinen Platz, auf dem die Gerber arbeiteten. Als direkt vor ihm ein mit nassen Fellen behängtes Trockengerüst seinen Weg versperrte, hielt er das Pferd an und zwang es zum Sprung. Das Ross sprang. Und Reynevan stürzte nicht. Wieder wie durch ein Wunder.
    Niklas hatte nicht so viel Glück. Sein Pferd verweigerte den Sprung, warf das Gerüst um und geriet zwischen Schlamm,Fleischfetzen und Fettresten ins Rutschen. Der jüngste Sterz schlug einen Purzelbaum nach vorne über den Pferdekopf. Fiel sehr, aber wirklich sehr unglücklich. Mit Unterleib und Bauch genau in eine Sense, die den Gerbern zum Entfernen der Fleischreste diente.
    Anfangs begriff Niklas gar nicht, was ihm widerfahren war. Er stand auf, stürzte zu seinem Pferd, und erst als dieses schnaubte und zurückwich, gaben die Knie unter ihm nach. Immer noch ohne zu begreifen, was geschehen war, rutschte der jüngste Sterz durch den Schlamm, seinem rückwärts gehenden und voller Panik laut schnaufenden Tier hinterher. Schließlich ließ er die Zügel los und versuchte aufzustehen. Da merkte er, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte, blickte auf seinen Bauch. Und schrie.
    Er kniete in einer rasch größer werdenden Blutlache.
    Dieter Haxt kam herangeritten, hielt sein Pferd an und sprang aus dem Sattel. Ebenso nach einer Weile Wolfher und Wittich Sterz.
    Niklas setzte sich stöhnend. Er blickte wieder auf seinen Bauch. Er schrie erneut, dann brach er in Tränen aus. Seine Augen begannen sich zu vernebeln. Sein hervorquellendes Blut vermischte sich mit dem der am Morgen hier geschlachteten Rinder und Schweine.
    »Niklaaaas!«
    Niklas Sterz hustete, verschluckte sich und starb.
    »Du bist des Todes, Reynevan Bielau!«, brüllte Wolfher Sterz Richtung Stadttor, weiß vor Wut. »Ich kriege dich, zerstöre dich, zermalme dich, vernichte dich, zusammen mit deinem ganzen Natterngezücht von Familie! Mit deinem ganzen Natterngezücht, hörst du?«
    Reynevan hörte nichts. Unter dem Hufgeklapper auf den Bohlen der Brücke verließ er eben Oels und stürmte nach Süden, geradewegs auf die Straße nach Breslau.

Zweites Kapitel
    in dem der Leser noch mehr über Reynevan erfährt, und zwar aus Gesprächen, welche Leute über ihn führen, die ihm wohlgesinnt sind, wie auch solche, die gegenteilig empfinden. Währenddessen irrt Reynevan durch die Wälder von Oels. Eine Beschreibung dieser Irrfahrt erspart der Autor dem Leser, so dass dieser, nolens volens , gezwungen ist, sich dieselbe auszumalen.
    S etzt Euch, an den Tisch, Ihr Herren.« Bartholomäus Sachs, der Bürgermeister von Oels, lud die Ratsherren ein. »Was soll kredenzt werden? An Weinen habe ich, ehrlich gesagt, nichts, womit ich imponieren könnte. An Bier aber, oho! ist mir heute just aus Schweidnitz ein köstliches Lagerbier erster Güte aus einem tiefen, kalten Kellerchen geliefert worden.«
    »Bier sodann, Bier!« Johann Hofrichter, einer der reichsten Kaufherren der Stadt, rieb sich die Hände. »Das ist unser Trunk, sollen sich der Adel und andere Herrlein den Verstand mit Wein vernebeln . . . Mit Verlaub, Hochwürden . . .« »Nichts da«, lachte Pfarrer Jakob von Gall, der Propst der Johanniskirche, »ich bin kein
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