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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman
Autoren: dtv
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Edelmann mehr, ich bin Geistlicher und als solcher, wie es dem Stande geziemt, dem Volke verbunden, und daher schickt es sich auch nicht, das Bier zu verachten. Und trinken darf ich wohl, denn die Vesperandacht habe ich gehalten.«
    Sie nahmen an dem Tisch im großen, niedrigen, lediglich getünchten Ratssaal Platz, wo für gewöhnlich der Magistrat zu tagen pflegte. Der Bürgermeister auf seinem angestammten Platz, mit dem Rücken zum Kamin, Pfarrer Gall neben ihm, das Gesicht zum Fenster gewandt. Gegenüber saß Hofrichter, neben ihm Lukas Frydman, ein gefragter und wohlhabenderGoldschmied, der in seinem modisch wattierten Wams und mit dem Samtkäppchen wie ein echter Edelmann aussah. Der Bürgermeister räusperte sich, und ohne auf die Dienerschaft mit dem Bier zu warten, begann er zu sprechen:
    »Und was haben wir?«, sagte er, seine Hände über der Wölbung seines Bauches verschränkend. »Was haben die wohlgeborenen Herrn Ritter unserer Stadt so edelmütig beschert? Eine Schlägerei bei den Augustinern. Eine Hatz zu Pferde durch die Straßen und Gassen der Stadt. Tumult auf dem Markt, ein paar Verletzte, ein Kind schwer verletzt. Beschädigte Habe, verdorbene Waren. Bedeutende Verluste materieller Natur, bis in den späten Nachmittag hinein kamen die
mercatores
und
institores
mit ihren Schadenersatzforderungen zu mir gelaufen. Wahrlich, ich hätte sie mit ihren Beschwerden zu den Herren Sterz nach Bernstadt, Ledna und Sterzendorf schicken sollen.«
    »Besser nicht!«, versetzte Johann Hofrichter trocken. »Obwohl auch ich der Ansicht bin, dass die Herrn Ritter in letzter Zeit zu übermütig geworden sind, so dürfen wir dabei weder den Anlass noch die Folgen außer Acht lassen. Die Konsequenz, die tragische Konsequenz ist wohl der Tod des jungen Niklas von Sterz. Und die Ursache: Unzucht und Ausschweifung. Die Sterz’ haben die Ehre ihres Bruders verteidigt, sie haben den Schandbuben gejagt, der ihre Schwägerin verführt und das Ehelager beschmutzt hat. Es stimmt wohl, in der Aufregung hat sie der Hafer gestochen . . .«
    Der Kaufherr verstummte, ein bedeutsamer Blick von Pfarrer Jakob hatte ihn getroffen.
    Denn wenn Pfarrer Jakob durch einen Blick signalisierte, dass er zu sprechen wünschte, schwieg sogar der Bürgermeister. Jakob Gall war nicht nur der Propst der städtischen Pfarre, sondern auch der Sekretär des Herzogs Konrad von Oels und Kanonikus im Domkapitel von Breslau.
    »Ehebruch ist eine Sünde«, sagte der Pfarrer und reckte hinter dem Tisch seine dürre Gestalt. »Ehebruch ist auch einVerbrechen. Aber die Sünden straft Gott und die Verbrechen das Gesetz. Selbstjustiz und Mord sind durch nichts zu rechtfertigen.«
    »Wohl, wohl!«, fiel ihm der Bürgermeister ins
Credo,
verstummte aber sofort und widmete sich dem Bier, das eben kredenzt wurde.
    »Niklas Sterz ist auf tragische Weise ums Leben gekommen, was uns sehr schmerzt«, fuhr der Pfarrer fort, »aber infolge eines schlimmen Unfalls. Wenn Wolfher und seine Kumpanen Reinmar von Bielau erwischt hätten, hätten wir es in unserer Jurisdiktion mit einem Mord zu tun. Nicht ausgeschlossen, dass wir es noch damit zu tun bekommen. Ich möchte daran erinnern, dass der Prior Steinkeller, der von den Sterz’ schlimm verprügelt worden ist, ein gottesfürchtiger Greis, noch immer bewusstlos bei den Augustinern liegt. Wenn er an den Schlägen stirbt, gibt es ein Problem. Für die Sterz’ nämlich!«
    »Was das Verbrechen des Ehebruches anlangt«, der Goldschmied Lukas Frydman betrachtete die Ringe an seinen gepflegten Fingern, »so bedenkt, ehrenwerte Herren, dass dies keineswegs in unsere Jurisdiktion fällt. Obwohl die Unzucht in Oels stattgefunden hat, unterstehen die Delinquenten nicht uns. Gelfrad Sterz, der betrogene Ehemann, ist ein Vasall des Herzogs von Münsterberg. Wie auch der Verführer, der junge Medicus Reinmar von Bielau . . .«
    »Hier bei uns ist die Unzucht geschehen, hier bei uns hat das Verbrechen stattgefunden«, gab Hofrichter schroff zurück. »Und es ist keine Bagatelle, wenn man dem Glauben schenkt, was das Eheweib des Sterz bei den Augustinern bekannt hat. Dass der Medicus sie durch einen Zauber betört und durch schwarze Kunst zur Sünde verführt hat. Eine Unwillige gezwungen hat.«
    »Das sagen sie alle«, brummte der Bürgermeister in seinen Humpen.
    »Besonders, wenn ihnen einer wie Wolfher von Sterz das Messer an die Gurgel hält«, fügte der Goldschmied trockenhinzu. »Der ehrwürdige Vater Jakob hat wohl
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