Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
gesprochen, Ehebruch ist ein Verbrechen, ein
crimen,
und als solches verlangt es nach Untersuchung und Gericht. Wir wollen hier keine Familienfehden und Straßenschlachten, wir lassen nicht zu, dass wild gewordene Herrensöhne ihre Hand gegen Geistliche erheben, mit Messern herumfuchteln und Leute auf öffentlichen Plätzen niedertrampeln. In Schweidnitz ist, weil er einen Waffenschmied geschlagen und mit dem Schwert bedroht hat, einer von den Pannewitzern ins Gefängnis gekommen. Und so soll es sein. Die Zeiten ritterlicher Selbstherrlichkeit sind vorbei. Die Angelegenheit muss vor den Herzog gebracht werden.«
    »Umso mehr«, bestätigte der Bürgermeister nickend, »als Reinmar von Bielau ein Adeliger und Adele von Sterz eine Adelige ist. Ihn können wir nicht auspeitschen, und sie nicht wie eine gewöhnliche Hure aus der Stadt vertreiben. Die Sache muss vor den Fürsten.«
    »Damit hat es keine Eile«, meinte Jakob von Gall, die Lage einschätzend, »Herzog Konrad begibt sich nach Breslau, und vor seiner Reise hat er tausenderlei zu tun. Das Gerücht   – wie Gerüchte es so an sich haben   – ist gewiss schon zu ihm gedrungen, aber jetzt ist nicht die Zeit dafür, solche Gerüchte offiziell zu bestätigen. Es reicht aus, wenn die Angelegenheit dem Herzog nach seiner Rückkehr vorgebracht wird. Bis dahin wird sich vieles von selbst erledigen.«
    »Das denke ich auch.« Bartholomäus Sachs nickte erneut.
    »Ich ebenfalls!«, fügte der Goldschmied hinzu.
    Johann Hofrichter rückte seine Marderkappe zurecht und blies den Bierschaum vom Humpen. »Den Herzog jetzt zu informieren«, sprach er, »steht uns nicht an, warten wir, bis er zurückkehrt, darin stimme ich mit Euch überein, werte Herren. Aber das Heilige Officium informieren müssen wir. Und das schleunigst. Darüber, was wir im Arbeitszimmer des Medicus gefunden haben. Schüttelt nicht den Kopf, Herr Bartholomäus, verzieht nicht das Gesicht, werter Herr Lukas. Und Ihr, Hochwürden,seufzet nicht und zählt nicht die Fliegen am Sturzbalken. Mir ist genauso wenig nach Eile zumute wie Euch, ich möchte die Inquisition genauso wenig wie Ihr vor Ort haben. Aber bei der Öffnung des Arbeitszimmers waren viele Leute anwesend. Und wo viele Leute sind, damit sage ich nicht Neues, wird sich wohl auch immer einer finden, der es der Inquisition zuträgt. Und wenn der Visitator in Oels erscheint, wird er als Erste uns befragen, warum wir gezögert haben.«
    »Ich hingegen«, Propst Gall löste seinen Blick vom Deckenbalken, »ich werde die Verzögerung erklären. Ich höchstpersönlich. Denn das ist meine Pfarrei, und mir obliegt die Pflicht, den Bischof und den päpstlichen Inquisitor zu informieren. Mir obliegt die Beurteilung, ob die gegebenen Umstände eine Anrufung und das Bemühen der Kurie und des Officiums erfordern.«
    »Ist die Hexerei, von der Adele Sterz bei den Augustinern herumgeschrien hat, etwa kein gegebener Umstand? Das Arbeitszimmer auch nicht? Der alchimistische Destillierapparat und das Pentagramm auf dem Fußboden? Die Mandragora? Die Totenschädel und die skelettierten Hände? Die Kristalle und Spiegel? Die Flaschen und Flakons mit weiß der Teufel was für Scheußlichkeiten und Giften? Frösche und Ratten in Glasbehältern? Sind das keine gegebenen Umstände?«
    »Eben nicht. Die Inquisitoren sind ernsthafte Leute. Ihr Werk ist die
inquisitio de articulis fidei
, und nicht Weibergewäsch, Aberglauben und Frösche. Ich denke nicht daran, sie damit zu behelligen.«
    »Und die Bücher? Die hier vor uns liegen?«
    »Die Bücher«, erwiderte Jakob Gall ruhig, »muss man zuerst studieren, genau und ohne Eile. Das Heilige Officium verbietet das Lesen nicht. Und auch nicht den Besitz von Büchern.«
    »In Breslau«, sagte Hofrichter düster, »sind erst kürzlich zwei auf dem Scheiterhaufen gelandet. Und es geht das Gerücht, eben des Besitzes von Büchern wegen.«
    »Keinesfalls der Bücher wegen«, entgegnete der Propst trocken,»sondern wegen der Kontumaz, wegen der hartnäckigen Weigerung, den darin befindlichen Inhalten abzuschwören. Unter diesen Büchern befanden sich Schriften von Wyclif und Hus, der lollardische
Floretus,
die Prager Artikel und zahlreiche hussitische
libelli
und Manifeste. Etwas Ähnliches sehe ich hier nicht unter den requirierten Büchern aus dem Arbeitszimmer des Reinmar von Bielau. Ich sehe hier fast nur medizinische Werke. Die übrigens in der Mehrzahl, wenn nicht in Gänze Eigentum des
scriptorium
des Augustinerklosters
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher