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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember
Autoren: Richard Paul Evans
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Zweites Kapitel
    Nur wer nie geht, stolpert nie.
    Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
    Falls die Saat meines Absturzes in meiner Jugend gesät wurde, ging sie erst in den Jahren auf, in denen ich die Wharton Business School an der University of Pennsylvania besuchte, wo sie sorgfältig von einem Gärtner gehegt wurde, von dem später noch die Rede sein wird. Zuvor lebte ich dort, wo ich geboren wurde, in Scottsdale, Arizona, einem gehobenen Vorort von Phoenix.
    Meine Kindheit war ein wenig ungewöhnlich. Meine Mutter starb an Brustkrebs, als ich sieben war, woraufhin sich mein Vater aus Kummer in seine Arbeit versenkte. Mein Vater, Carl Crisp, war ein innovativer und brillanter Mann – ein unternehmerischer Visionär. Mit viel Fleiß gelang es ihm, ein internationales Unternehmen aufzubauen. Wenn Sie nicht gerade in einer Höhle in den Appalachen oder in einer Hütte in den Sümpfen der Everglades wohnen, haben Sie möglicherweise schon davon gehört: Crisp’s Copy Centers. Derzeit sind über zweitausend Standorte über die gesamten USA und Kanada verteilt, und jeden Monat steigt die Zahl der Läden weiter.
    Mein Vater hat sich zwar in die Arbeit gestürzt, aber ohne mich zu vernachlässigen. Vielmehr nahm er mich überallhin mit. Ich habe meine Kindheit an seiner Seite verbracht. Während sich die meisten anderen Jungs in meinem Alter im Baseball übten, lernte ich, wie man eine Tonerkartusche in einem Farbkopierer auswechselt.
    Im Alter von sechzehn leitete ich meinen ersten Copyshop in Gilbert, Arizona. Ich bin ziemlich sicher, dass ich der einzige Zehntklässler an der High-School war, der einen selbst erarbeiteten BMW fuhr. Während ich aufs College ging, leitete ich zwölf Kopierläden. Mit einundzwanzig hatte ich mein Studium an der Arizona State University mit Auszeichnung abgeschlossen.
    Die Leute sagen immer, dass ich meinem Vater sehr ähnlich sehe, was ich als Kompliment betrachte. Wir sind beide groß und ein wenig schlaksig und haben hellbraunes Haar. Aber da endet unsere Ähnlichkeit auch schon. Das auffälligste Merkmal meines Vaters sind seine intensiven, von buschigen Augenbrauen teilweise überdeckten dunklen Augen. Er sagte mir immer, das Geheimnis für Erfolg sei eine »laserartige Konzentration«, und er hatte die Augen dafür. Er durchschaute mich stets.

Drittes Kapitel
    Im Kalender sehen alle Tage gleich aus, aber sie haben nicht das gleiche Gewicht.
    Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
    Wenn ich den Tag benennen sollte, an dem mein Leben eine Wendung nahm, würde ich ihn sechs Wochen nach meinem Abschluss an der Arizona State University im Dezember legen. Mein Vater und ich hatten gemeinsam an einer Präsentation gearbeitet und fuhren zum Essen in unser Lieblingsrestaurant DiSera’s, ein bekanntes italienisches Nobelrestaurant, das auf halbem Wege zwischen unserem Haus und dem Verwaltungsgebäude von Crisp’s lag. Wir aßen dort fast jede Woche, und der Besitzer, Lawrence »Larry« DiSera, war ein enger Freund meines Vaters. Wir hatten sogar unseren eigenen Tisch in dem Restaurant. Er stand unter einem Gemälde, das eine junge, vollbusige Toskanerin beim Weinstampfen zeigte. Zu besonderen Anlässen – an Geburtstagen und bei Festen – kam Larry persönlich an unseren Tisch und spielte für uns etwas auf der Mandoline.
    Aber der Abend, an dem sich mein Leben änderte, war nicht mein Geburtstag, und wir feierten auch sonst nichts. Wir aßen lediglich. Irgendwann zwischen Antipasti und Primi Piatti sagte mein Vater: »Ich finde, du solltest einen MBA machen.«
    Die Bemerkung kam wie ein Meteor aus heiterem Himmel. Ich war froh, dass ich wieder bei Crisp’s war und arbeiten konnte; ich hatte schon das College als unnötige Verzögerung empfunden. Einen Moment lang sah ich ihn nur an. »Wieso?«
    »Ich glaube, das wäre gut für dich.«
    Ich hoffte, dass er es nicht ernst meinte. Aber sein Verhalten zeigte mir, dass es ihm durchaus ernst damit war. Er hatte den gleichen Blick, den er gehabt hatte, als er vorschlug, dass ich unsere Läden in Phoenix als Gebietsmanager übernehmen sollte.
    »Ich würde lieber in der realen Welt lernen, wie man Geschäfte macht«, erwiderte ich. »Du hast auch keinen MBA, und es hat dir nicht geschadet.«
    »Mehr als du glaubst«, antwortete er.
    »Du hast eines der größten Unternehmen Amerikas gegründet. Wie kannst du da sagen, es hätte dir geschadet?« Ich unterstrich mein Argument, indem ich einen Bissen von dem Caprese nahm. Als ich fertig mit Kauen war,
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