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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember
Autoren: Richard Paul Evans
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und küsste meinen Finger. Ich war hingerissen. Ich war von ihr hingerissen.
    Ich habe den Ausspruch gehört, dass schon einige Männer am Riff der Weiblichkeit zerschellt sind. Ich bin nicht untergegangen, aber ich bin immerhin gestrandet. Sechs Wochen nach unserer ersten Begegnung beschlossen wir, dass wir ab sofort fest zusammensein wollten.
    Die »Lerngruppe« traf sich auch weiterhin jede Woche, und Sean und ich wurden ebenfalls Freunde. Diese Beziehung war erfrischend. Außer meinem Vater hatte ich seit Jahren keinen engen Freund mehr gehabt.
***
    Der Verlauf meines Studiums spiegelte das Auf und Ab der Gezeiten der akademischen Welt wider. Ich trieb, über beide Ohren verliebt, einfach mit. Und während ich mich in meiner neuen Welt zu verstricken begann, schien mein früheres Leben in immer weitere Ferne zu rücken. Ich stand zwar täglich mit meinem Vater per E-Mail und SMS in Kontakt, allerdings waren es normalerweise nur kurze Nachrichten, die wir einander schickten. »Wie geht’s?«, »Was ist mit dem Geschäft?«, »Wie läuft’s an der Uni?« Gelegentlich streifte er ein Ereignis in einem der Copyshops, aber nicht so oft, wie ich gedacht hatte. Es ging mehr um die Menschen als um die Gewinne. Das hätte mich nicht verwundern sollen, denn schließlich hatte er mich fortgeschickt, damit ich das Leben außerhalb von Crisp’s entdeckte, und er hatte nicht die Absicht, seine eigenen Pläne zu durchkreuzen.
***
    Ende November ging Crisp’s mit 100 Millionen Aktien an die Börse. Henry hielt mich an jenem Tag vier- bis fünfmal per SMS über die Angebote auf dem Laufenden. Der Ausgabekurs lag bei einem Dollar pro Aktie, und bis zum Börsenschluss war er auf 3,42 Dollar gestiegen.
    Die sieben von der Wharton wussten es, bevor ich es sagte. Sie hatten sich bereits in der üblichen Ecke im Smokey Joe’s versammelt, als Candace und ich eintrafen.
    »Dann ist dein alter Herr also ein paar hundert Millionen schwer«, stellte Marshall fest, als wir an den Tisch kamen. Candace und ich setzten uns.
    »Offenbar«, sagte ich.
    »Dafür kriegt man ’ne Menge Calzones«, meinte Sean. »Glückwunsch.«
    »Na«, fragte Marshall und beugte sich zu mir vor. »Wie groß ist denn dein Anteil an der Beute?«
    »Wie kommst du darauf, dass ich einen Anteil bekomme?«
    »Hast du irgendwelche Geschwister?«, fragte Lucy.
    »Nein.«
    »Heiliges Kanonenrohr!«, rief Marshall. »Eines Tages gehört das alles dir. Ich glaube, ich sollte anfangen, netter zu dir zu sein.«
    »Was motiviert dich überhaupt zu studieren, wenn du einen derartigen Rettungsschirm hast?«, erkundigte sich Suzie.
    »Ich hätte nichts dagegen, mich da schlau zu machen«, sagte Marshall. »Wenn du Glück hast, kratzt der alte Herr bald ab.«
    Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss, und fuhr ihn an: »Halt doch einfach die Klappe!«
    Marshall, von der Dummheit seiner Bemerkung eingeholt, sah mich ausdruckslos an. »Entschuldige, ich wollte nicht …«
    »Du bist ein Idiot«, wies ihn Sean zurecht. »Es ist sein Vater.« Sean drehte sich zu mir hin. »Tut mir leid, Mann. Hör nicht auf das, was er sagt.«
    Marshall erbleichte. »Ich hab’s nicht ernst gemeint.«
    Ich stand auf. »Lass uns gehen«, sagte ich zu Candace.
    »Luke«, bemühte sich Marshall, »es war ein blöder Witz.«
    »Du bist ein blöder Witz«, gab Candace zurück.
    Wir verließen die Kneipe. James folgte uns. »He, Luke«, rief er. »Tut mir leid. Du weißt ja, wie Marshall ist. Ich bin sicher, dass er es nicht so gemeint hat.«
    »Natürlich hat er das«, entgegnete Candace. »Und warum entschuldigst du dich für Marshall? Er und Sean verspotten dich jedes Mal, wenn du den Mund aufmachst.«
    »Sie machen doch nur Spaß«, versicherte James. Er wirkte ernsthaft besorgt um meine Gefühle.
    »Schon gut«, beruhigte ich ihn schließlich. »Ich brauch nur ein wenig frische Luft.«
    Er sah erleichtert aus. »Gut«, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. »Und Glückwunsch. Der Erfolg hätte keinen netteren Kerl treffen können.«
    Nachdem er in die Kneipe zurückgegangen war, meinte Candace: »Wer hätte gedacht, dass sich ausgerechnet James über den Erfolg deines Vaters freut. Er hätte von allen den meisten Grund, neidisch zu sein.«
    »Er ist ein guter Mensch«, sagte ich. »Er erinnert mich an meinen Vater. Pass auf, er wird es noch weiter bringen als wir alle.«

Achtes Kapitel
    Als Junge träumte ich von einem Weihnachten im Stile der Currier-&-Ives-Drucke, und ich stellte
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