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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember
Autoren: Richard Paul Evans
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sich damit selbst beschrieb.
    »Seelen aus Pappe«, wiederholte Suzie, eine ausgesprochen dünne junge Frau mit kurzem blondem Haar.
    »Also, Mr Crisp«, sagte Sean und ließ den Blick auf mir ruhen. »Was ist der Sinn des Lebens?«
    Candace verdrehte die Augen, und Lucy meinte: »Das fragt er jeden.«
    Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich. »Darauf weiß ich noch keine Antwort, Sean. Ich freu mich einfach, hier zu sein.«
    »Das gefällt mir«, sagte Candace.
    »Ja, das unerforschte Leben«, meinte Sean. »Die Aussage hat was. Nun, James hier sagt, er sei ein Wiedergeborener, was immer das heißen mag …«
    »Das heißt, dass ich ein Christ bin«, schaltete sich James ein.
    »Wie gesagt: Was immer das heißen mag«, gab Sean zurück. »Sich über Weihnachten lustig zu machen ist so, als würde man Kühe mit einem Maschinengewehr jagen.« James schüttelte nur den Kopf. »Also Lucy hier ist eine Agnostikerin, auch wenn das für sie nur ein bombastischer Begriff ist …« – Lucy schlug ihn spielerisch – »… und Marshall ist ein Hedonist.«
    »Ein altruistischer Hedonist«, korrigierte ihn Marshall.
    »Was ist ein altruistischer Hedonist?«, fragte ich.
    Marshall antwortete: »Wir glauben, dass die einzigen Dinge im Leben, nach denen es sich zu streben lohnt, die Schönheit und das Vergnügen sind – die ehrliche Erfüllung der Sinne. Aber wir erkennen auch an, dass Altruismus ebenfalls eine bestimmte Art von Vergnügen erzeugt.«
    »Mir ist noch nicht klar, was Suzie ist«, sagte Sean.
    »Eine moralische Kapitalistin«, erklärte Suzie.
    »Das ist ein Oxymoron«, entgegnete Marshall.
    »Und was bin ich?«, fragte Candace.
    »Du«, meinte Sean langsam, »bist auf der Hut.«
    Candace zuckte die Schultern. »Im Gegensatz zu dir.«
    »Und was bist du?«, fragte ich Sean.
    Er lächelte. »Ich bin zutiefst oberflächlich.«
    »Das heißt, dass er nicht weiß, was er ist«, sagte Suzie.
    »Das heißt«, widersprach Sean, »dass ich nicht arrogant genug bin, um zu behaupten, ich wüsste, worin der Sinn des Lebens besteht, wenn es so etwas denn gibt.«
    »Hast du tatsächlich die Worte ›nicht arrogant‹ verwendet, um dich zu beschreiben?«, fragte Candace.
    »Der Vollständigkeit halber: Ich vermute, dass ich ebenfalls ein Kapitalist bin. Darum rennen wir ja auch dem MBA hinterher wie der Esel hinter der Karotte, oder?«, sagte ich.
    »Ich liebe Karotten«, verkündete Lucy und wandte sich mir zu. »Ich bin Veganerin.«
    »Moment mal«, schaltete sich Marshall ein. »Das schließt Hedonismus nicht aus. Würdest du sagen, dass dein Kapitalismus ein Mittel oder ein Ziel ist?«
    »Ein Mittel wofür oder ein Ziel für was?«, fragte ich.
    »Lass es mich so formulieren«, erwiderte Marshall. »Wenn du eine Milliarde Dollar hättest, würdest du dann noch weiter arbeiten?«
    Ich dachte nach. »Wahrscheinlich.«
    »Dann bist du genauso ein Hedonist wie ich.«
    »Wie bist du denn zu dem Schluss gekommen?«, fragte Candace.
    »Ich sage nur, dass einer, dessen höchstes Ziel darin besteht, Geld um des Geldes willen zu machen, die extremste Form eines Hedonisten darstellt, der sich am obskursten aller Vergnügen erfreut.«
    »Marshall hat recht«, meinte Sean. »Der moderne Kapitalismus hat eine neue Ästhetik geschaffen, eine strahlende neue Spezies Mensch, die nicht das wertschätzt, was man mit Geld kaufen kann, sondern nur das Geld selbst. Es ist so, als würde man ein Festessen zubereiten, um es dann nur zu betrachten.«
    »Das kann auch Spaß machen«, fand Candace.
    »He, du«, sagte Sean und zeigte mit dem Finger auf Candace, »red nicht so viel.«
    Candace verdrehte erneut die Augen.
    »Solche Leute gab es schon immer«, bemerkte ich. »Da braucht man nur Dickens zu lesen.«
    »Das stimmt«, nickte Sean. »Unsere Kultur hat nichts erfunden. Sie adaptiert lediglich ungeniert die einstigen Fehlschläge anderer Kulturen, wischt sie ab und bezeichnet sie als neu. Philosophisch ist das faszinierend: Die Relativisten haben jahrhundertelang behauptet, dass der Weg das Ziel ist, und diese neue Sorte von Kapitalisten lebt das. Erschaffen und anhäufen. Das ist poetisch.«
    »Ich wüsste nicht, warum sich jemand damit abplagen sollte«, warf Lucy ein. »Es ist zu viel Arbeit. Ich sage, dass man arbeiten sollte, um zu leben, nicht leben, um zu arbeiten. Gerade genug, um sich die Freuden des Lebens leisten zu können.«
    »Was weißt du schon von Arbeit?«, stichelte Marshall.
    »Frag mich, was ich über die Freuden weiß«,
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