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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember
Autoren: Richard Paul Evans
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etwas zustößt. Ich habe dich zum Testamentsvollstrecker ernannt.«
    Ich sah ihn angstvoll an. »Warum gibst du mir das jetzt?«
    Er las die Besorgnis in meinem Gesicht und tat sie beiläufig ab. »Keine Angst. Du kennst mich doch, ich gehe immer auf Nummer sicher. Besser übervorsichtig sein als zu leichtsinnig. Wir Crisps sind nicht gerade für unsere Langlebigkeit bekannt. Ich bin bereits zwei Jahre älter als mein Vater zum Zeitpunkt seines Todes und sechs Jahre älter als mein Großvater, als er starb.«
    »Ich mag nicht darüber sprechen«, sagte ich.
    »Ich weiß. Und ich bin nur …« Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Es ist wie die Durchsage der Stewardess: ›Für den unwahrscheinlichen Fall einer Notwasserung …‹ Ich habe genau aufgezeichnet, wie mit meinen Vermögenswerten verfahren werden soll: den Lebensversicherungspolicen, dem persönlichen Eigentum, den Wohltätigkeitsaktionen usw., usw. Auch, wie ich unsere leitenden Manager behandelt sehen möchte.« Mein Vater sorgte immer für seine Mitarbeiter. »Du solltest auch wissen, dass ich einen Treuhandfonds für dich eingerichtet habe, auf den zuzugreifen du bereits alt genug bist.«
    »Ich bin gut versorgt«, wehrte ich ab. »Du bezahlst doch schon alles.«
    »Ich weiß, es ist nur juristischer Blödsinn, aber der Treuhandfonds läuft komplett auf deinen Namen, deshalb solltest du darüber informiert sein.« Er wusste, dass ich nicht fragen würde, darum fügte er von sich aus hinzu: »Er umfasst eine Million Dollar.«
    Ich gab ihm die Mappe zurück. »Wie wäre es, wenn wir uns einfach darauf einigen, dass dir nie etwas passiert?«
    Er grinste. »Einverstanden. Magst du ein wenig Schach spielen?«
    »Na, dann pass mal auf«, erwiderte ich. »Das ist dein Untergang, alter Mann.«
    »Nach all dem Geld, das ich in deine Ausbildung gesteckt habe, will ich das doch sehr hoffen.«
    Ich hatte fast vergessen, wie sehr ich das Zusammensein mit meinem Vater genoss.

Neuntes Kapitel
    Alles Menschliche entwickelt sich. Immer. Das gilt für unser Herz und unsere Sehnsüchte ebenso wie für unseren Körper.
    Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
    Weihnachten war wie im Fluge vergangen, und ich befand mich wieder in der Kälte von Philadelphia. Was auch immer man sagen mag – die Liebe wächst nicht mit der Entfernung, sie kühlt durch sie ab wie eine aus dem Feuer gezogene Glut. Ich könnte sagen, dass ich dieses Phänomen nie zuvor erlebt hatte, aber das würde nicht stimmen. Die Abwesenheit meiner Mutter war das Einzige, woran ich als Junge denken konnte, und inzwischen war sie mir kaum noch bewusst.
    Während ich immer tiefer in meine neue Welt eintauchte und mein Vater immer stärker von der Lenkung eines börsennotierten Unternehmens gefordert war, veränderte sich unsere Beziehung. Man könnte sagen, dass sie abkühlte. Es geschah so langsam, dass ich es noch nicht einmal bemerkte.
    Ich sagte, dass mein Vater das Unternehmen »lenkte«, aber tatsächlich wurde er eher hinterhergeschleift. In den wenigen E-Mails von ihm, in denen er Crisp’s erwähnte, klangen seine Bemerkungen eher nach Pflicht als nach Leidenschaft – und mein Vater war in Geschäftssachen stets leidenschaftlich gewesen. »Ohne Leidenschaft sind wir zur Mittelmäßigkeit verurteilt«, sagte er gern. Und ehrlich gesagt, brannte auch ich immer weniger darauf, Crisp’s eines Tages zu leiten.
    Während meine Beziehung zu meinem Vater schwächer wurde, intensivierte sich die zu Candace. Ebenso meine Freundschaft mit Sean. Wenn ich nicht mit Candace zusammen war, dann meist mit ihm. Vermutlich hatten beide etwas zu bieten, was ich suchte. Sean war jemand, der wusste, wie man lebte. Er arbeitete ebenso hart daran, sich zu amüsieren, wie die meisten anderen Menschen an ihrer Karriere. Am Ende unseres Frühjahrssemesters organisierte er eine Reise nach Saint-Barthélemy, einer Insel, die zu den Kleinen Antillen in der Karibik gehört. Ich wusste nichts darüber, aber Sean kannte sich aus, und er malte ein Bild der Insel, wie es kein Reisebüro vermocht hätte: prächtige weiße Sandstrände vor einem ebenso herrlichen blauen Meer, exklusive Boutiquen, ein Überfluss an den feinsten französischen Speisen und die tollsten Frauen diesseits des Atlantiks.
    Sean forderte die sieben von der Wharton auf, ihn zu begleiten. Marshall und Lucy kamen mit, aber Suzie hatte andere Pläne, und James fehlte das Geld, um mitzukommen. Candace ebenfalls, aber da ich nicht ohne sie reisen wollte, bot ich an,
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