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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman
Autoren: dtv
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verlassen.« Der Bürgermeister hatte keine Angst, den Satz zu vollenden. »Was klar beweist,dass ihn nichts mit dieser   – wie sagt man   – hussitischen Häresie verbindet.«
    »Nein, nichts verbindet ihn damit«, bekräftigte der Goldschmied Frydman gelassen. »Ich weiß es wohl von meinem Sohn, der zur selben Zeit in Prag studierte.«
    »Sehr gut hat es sich auch gefügt«, setzte Bürgermeister Sachs hinzu, »dass Reynevan nach Schlesien zurückgekehrt ist, und gut, dass er zu uns nach Oels gekommen ist und nicht ins Herzogtum Münsterberg, wo sein Bruder bei Herzog Johann in Ritterdiensten steht. Das ist ein guter und verständiger Junge, und obwohl noch jung an Jahren, in der Kräuterheilkunde doch so bewandert, dass man selten seinesgleichen findet. Mein Weib hat er von Furunkeln geheilt, die sich auf, wie sagt man gleich, auf ihrem Leib befanden, die Tochter hat er von ihrem ständigen Husten befreit. Mir hat er für die eitrigen Augen einen Aufguss gegeben, der hat so schnell geholfen, als hätte eine Hand den Eiter weggewischt . . .«
    Der Bürgermeister verstummte, räusperte sich und schob die Hand in seinen pelzverbrämten Rock. Johann Hofrichter betrachtete ihn aufmerksam.
    »Jetzt«, erklärte er, »ist mir endlich einiges klar geworden. Über diesen Reynevan. Jetzt weiß ich alles. Obwohl er ein Bankert ist, fließt in ihm doch Piastenblut. Der Sohn eines Bischofs. Ein Freund der Fürsten. Ein Verwandter der Nostitz. Der Brudersohn eines Scholasticus des Breslauer Kollegiats. Den Söhnen der Reichen ein Studienfreund. Dazu, als reiche das alles nicht aus, ein gefragter Medicus, ein Wundertäter fast, der sich die Dankbarkeit der Höhergestellten verdient hat. Wovon hat er Euch denn geheilt, hochwürdiger Vater Jakob? Von was für einem Gebrechen, wenn man fragen darf?«
    »Gebrechen stehen hier nicht zur Debatte«, erwiderte der Propst kühl. »Sagen wir einfach, er hat geheilt, ohne dabei Einzelheiten zu erwähnen.«
    »Jemanden wie ihn dürfen wir nicht verlieren«, fügte der Bürgermeister hinzu, »es wäre schade, wenn einer wie er ineiner Familienfehde umkommen sollte, nur weil er sich, wie sagt man gleich, wegen eines Paares schöner Augen vergessen hat. Er soll der Gemeinschaft dienen. Er soll heilen, da er es kann . . .«
    »Selbst wenn er dabei ein Pentagramm auf dem Fußboden verwendet?«, spottete Hofrichter.
    »Wenn es heilt, wenn es hilft«, sagte Pfarrer Gall ernst, »wenn es den Schmerz hinwegnimmt, dann wohl. Eine solche Gabe ist ein Gottesgeschenk, der Herr verteilt sie nach seinem Willen und seinem Gutdünken.
Spiritus flat, ubi vult,
es ist nicht an uns, seine Wege zu erforschen.«
    »Amen!«, ergänzte der Bürgermeister.
    »Kurz gesagt«, Hofrichter gab sich nicht geschlagen, »so einer wie Reynevan kann nicht schuld sein? Geht es darum? He?«
    »Wer aber von uns ohne Schuld ist«, erwiderte Jakob Gall mit versteinerter Miene, »der werfe den ersten Stein. Gott wird uns alle richten.«
    Eine Weile herrschte eine so tiefe Stille, dass man meinte, den Flügelschlag eines Nachtfalters am Fenster zu vernehmen. Von der Johannisgasse her tönte der langgezogene Gesang des Nachtwächters.
    »Fassen wir also zusammen«, der Bürgermeister richtete sich hinter dem Tisch auf, dass sein Bauch die Tischkante berührte, »am Tumult in unserer Stadt Oels sind die Brüder Sterz schuld. Die Sachschäden und die Körperverletzungen auf dem Markt sind durch die Schuld der Sterz’ entstanden. Am Verlust der Gesundheit und, was Gott verhüten möge, dem Tode des hochwürdigen Priors Steinkeller sind die Brüder Sterz schuld. Sie und nur sie allein. Das, was Niklas von Sterz geschehen ist, war ein, wie sagt man gleich, bedauerlicher Unfall. So werde ich dem Herzog die Sache darlegen, wenn er zurückkehrt. Seid Ihr einverstanden?«
    »Einverstanden.«
    »Consensus omnium.«
    »Concordi voce.«
    »Und sollte Reynevan sich blicken lassen«, fügte Propst Gall nach einer Weile des Schweigens hinzu, »so rate ich, ihn in aller Stille zu fassen und festzusetzen. Hier im Karzer des Rathauses, zu seiner eigenen Sicherheit. Bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
    »Es wäre gut«, ergänzte Lukas Frydman, noch immer seine Ringe betrachtend, »das rasch zu tun. Bevor Tammo Sterz von der ganzen Sache Wind bekommt.«
     
    Als er aus dem Rathaus in das Dunkel der Johannisgasse trat, nahm der Kaufherr Hofrichter aus dem Augenwinkel eine Bewegung an der mondlichtübergossenen Wand des Turmes wahr, eine
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