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Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17

Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17

Titel: Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17
Autoren: Bastei Lübbe
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oder geweint oder beides auf einmal.
    In diesem Moment stieß er auf die Fahrstuhltür. Die Etagenanzeige verriet ihm, dass die Kabine unterwegs war und jeden Moment vor ihm anhalten musste.
*
    Zimmer 11 war erfüllt vom Gestank der Verwesung, der von dem ans Bett gefesselten Kadaver ausging.
    Annika konnte dem Pestgeruch nicht entgehen. Zum Aufstehen war sie zu schwach, und der Knebel zwang sie, durch die Nase zu atmen. Sie würgte gegen das Erbrechen an. Annika wusste, wenn sie kotzte, würde sie an ihrem Mageninhalt ersticken.
    Das Flimmern des Fernsehgerätes durchdrang die Dunkelheit des Zimmers. Über den Bildschirm liefen in endloser Kamerafahrt Leichenberge, Schädelpyramiden und offene Gräber.
    Doch auf einmal brach die Kamerafahrt ab und Kais Gesicht füllte den Fernsehschirm aus. Es war fahl, die Haut glänzte. Kais Augen verrieten anwachsende Panik.
    Dann wich die Kamera nach oben zurück, und die Nahaufnahme begann langsam in die Totale zu schrumpfen.
    Annika sah, dass sich Kais gegen die Hüften gepresste Fäuste öffneten und schlossen wie die Kiemen eines gestrandeten Fischs. Kai stand wartend vor einer Aufzugstür, in einer hohen Halle ohne Fenster, aber mit mehreren offenen Durchgängen.
    Das Leuchtsignal über der Aufzugstür zeigte an, dass der Fahrstuhl eingetroffen war. Gleichzeitig tauchte ein Mann in einem der Durchgänge auf. Sowie er Kai erblickte, kam er eilig in die Halle gehumpelt. Er hatte einen weißen Kittel an und ein riesiges Schlachtermesser in der Hand.
    Kai fuhr herum. Offenbar hatte der Ankömmling ihm etwas zugerufen. Kai erblickte den Mann mit dem Messer, und plötzlich verriet sein Gebaren Todesangst.
    Da glitt die Lifttür auf.
    N-E-E-E-E-E-E-E-E-E-E-E-E-E-I-I-I-N-N-N-N, schrie Annika, um Kai zu warnen.
    Aber der Warnruf erscholl nur in ihrem Kopf.
    Kai schnellte förmlich voran. Erst als er den Blick wieder nach vorn richtete, begriff er, dass sich hinter der geöffneten Tür gar keine Liftkabine befand.
    Aber da war es schon zu spät.
    Kai trat ins Leere und wurde vom gähnenden Fahrstuhlschacht verschluckt.
    »Aufprallebene«, tönte die weiche Fahrstuhlstimme dicht an Annikas Ohr, während sich die Liftkabine, die knapp oberhalb der Aufzugstür stehen geblieben war, wieder in Bewegung setzte und wie ein Gruftdeckel langsam über die Schachtöffnung senkte.
*
    Der Stationsflur begann sich zu füllen.
    Das Wandfernsehgerät in Zimmer 11 zeigte es in körnigem Schwarz-Weiß.
    Halb transparente Schemen lösten sich aus den Mauern und den geschlossenen, nummerierten Türen wie Leuchtquallen, die eine Wasserwand durchdringen. Anfangs nur vereinzelt, gleich unstofflichen, verirrten Schlafwandlern. Dann, allmählich, immer zahlreicher. Und schließlich aus dem Gemäuer hervorflutend wie eine gespenstische Invasion: Ärzte, Schwestern und Pfleger. Patienten, Frauen und Männer, Junge und Alte, die Rollatoren und Infusionsständer schoben. Schlurfende und Humpelnde. Verrenkte, Zerschmetterte, Zerfleischte. Geöffnete Leiber, die aussahen, als hätten sie sich vom OP-Tisch oder vom Stahltisch der Anatomie erhoben.  
    Annikas Hände ruhten auf dem Bauch. Er war unregelmäßig gewölbt, und das Gewicht der Hände schmerzte Annika. Der leichteste Fingerdruck fühlte sich an wie ein Messerstich.
    Da schwang die Tür auf, und Licht strömte ins Zimmer.
    Schwester Hertwiga und Schwester Nanita traten ein. Den Leichengeruch schienen sie nicht wahrzunehmen. Sie rückten Annikas Patientenbett von der Wand ab, zogen den Stecker der Bettelektrik aus der Funktionsleiste und lösten die Bremsen der Rollen. Während der über den Rand des Nachtschranks hinabbaumelnde Telefonhörer Messgesang verströmte, schoben die beiden Krankenschwestern Annika aus dem Krankenzimmer in den Stationsflur hinaus.
    Als würden sich Myriaden von Motten unter den Abdeckungen der Leuchtstoffröhren fangen und mit ihren Flügeln und Leibern das Licht verschlucken, begann sich der Flur zu verfinstern. Binnen Kurzem erfüllte ihn nur noch ein mattes Glimmen.
    Die Schemen hatten eine Gasse gebildet. Sie säumten die Wände des Stationsflurs, der sich wie ein rechteckiger Tunnel endlos zu erstrecken schien. Weit entfernt, am Ende des Tunnels, strahlte ein winziges goldenes Licht.
    Auf dieses Licht wurde Annika durch das Spalier der Schemen zugeschoben. Mit jedem Meter, den sie zurücklegte, wuchs die Wölbung ihres Bauches weiter an, und das Aufquellen mehrte den Schmerz.
    Die Schemen streckten die Arme aus und
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