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Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17

Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17

Titel: Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17
Autoren: Bastei Lübbe
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stellvertretend. »Sie sieht viel fern.«
    »Ich würde ja gern veranlassen, dass man Ihnen den Knebel abnimmt, Frau Brohkamp«, versicherte der Professor bedauernd. »Aber Sie sehen aus, als würden Sie dann unaufhörlich schreien.«
    Der Professor war um die fünfzig, schlank und hochgewachsen. Der makellos weiße Kittel saß ihm wie maßgeschneidert am Leib. In seinem Gefolge waren mehrere untergeordnete Ärztinnen und Ärzte eingetreten. Schweigend beobachteten sie das Geschehen.
    »Eigentlich war ich es, der Ihre Operation hätte vornehmen sollen, Frau Brohkamp«, fuhr der Professor fort und beugte sich prüfend über ihren Bauch. Annika sah, dass inmitten der Kugelschreiber, deren Clips sich an Enggässers Brusttasche reihten – je größer die Zahl der Stifte, desto höher die Stellung des Arztes –, ein abgetrennter, halb mumifizierter menschlicher Daumen hervorragte.
    Vielleicht nuckelt er daran, wenn ihn der Hunger plagt , dachte Annika irre.
    Der Professor wandte sich an Schwester Hertwiga. »Wo ist das Teratom?«
    »Wir konnten es nicht sicherstellen.«
    Der Professor hob die gespreizten Finger. »Schwester, Handschuhe!«, rief er, als wäre er im OP-Saal. Schwester Hertwiga reichte ihm ein Paar Latex-Handschuhe aus dem Bedarfsschrank, das er routiniert überstreifte.
    Er trat ans Nachbarbett. Die Greisin schien zu schlafen. »Öffnen Sie Ihren Mund!«, befahl der Professor.
    Der faltige Gesichtspalt blieb ebenso geschlossen wie die pergamentartigen Lider.
    »Schwester, wenn Sie so freundlich wären …«
    Einem Schraubstock gleich, legten Schwester Hertwigas kraftvolle Finger sich um die Kinnladen der Alten und zwangen sie unbarmherzig auseinander. Dennoch blieben die Augen geschlossen.
    Der Professor schob eine Hand in den zahnlosen Schlund. Er fingerte eine Zeit lang darin herum, ehe er sich kopfschüttelnd zurückzog. »Kieferspreizer!«, forderte er.
    Einer der Ärzte sah im Schrank nach und übergab Schwester Hertwiga das Gewünschte. Die Schwester zwängte die Stahlbügel in den Mund und zog die Feststellschraube an.
    »Pharynxzange!« Der Professor bekam eine lange, am Gelenk schnabelartig abgeknickte Zange gereicht, die er in den Rachen der Gefesselten einführte.
    Der Professor unterdrückte einen Fluch. Er schob das Instrument tiefer in den Hals der alten Frau hinein und begann ungestüm im Schlund herumzufuhrwerken. Blutfäden rannen aus dem Mundwinkel der Patientin. Der Mundöffnung entwich ein sonderbarer Laut, eine Mischung aus Röcheln, Räuspern und Rülpsen. Zugleich zog der Professor das Instrument mit einem Ruck wieder hervor.
    »Na bitte«, knurrte er zufrieden.
    »Das gehört Ihnen«, sagte er zu Annika und legte das geborgene Objekt mit der Zange auf ihren Bauch.
    Das Ding war ein babyfaustgroßer, unförmiger Klumpen. Er bestand aus Knochen, Haut und einem halben Auge, das Annika verschlafen anzublicken schien. Aber hauptsächlich bestand er aus Zähnen.
    Scharfen Zähnen.
    Annika spürte noch immer keinen Schmerz. Auch nicht, als die Zähne ein blutiges Loch durch die Bauchdecke nagten und die Zyste blitzartig zwischen Annikas Eingeweide schlüpfte.
    Der Professor war perplex.
    Auch Schwester Hertwiga starrte entgeistert auf die glitzernde rote Pforte unterhalb von Annikas Nabel. »Soll das verbunden werden?«, fragte sie, als sie sich gefasst hatte.
    Der Professor verneinte. »Das heilt an der Luft am besten!«
    Er nickte Annika leutselig zu. »Ich wünsche Ihnen noch viel Spaß beim Ferngucken!«
    Die Visite verließ im Gänsemarsch das Zimmer. Der Letzte löschte das Licht und zog die Tür hinter sich zu. Niemand schien zu beachten, dass Frau Irchers Körper gleich nach der Entnahme des Teratoms begonnen hatte, sich zeitrafferartig in einen faulenden Kadaver zu verwandeln. Verwesungsgestank verbreitete sich in Zimmer 11.
*
    Langsam, wie ein von Arthrose Befallener, ließ Leikart sich auf den Bürostuhl sinken.
    »Ja«, gestand er. »Ich war einer der Adepten. Ein ehrgeiziger junger Arzt nach glänzend bestandenem Staatsexamen. Aber ich war nie bei einer der Satansmessen im OP-Saal dabei. Deshalb hielt Enggässer am Ende mich für den Verräter.«
    »Ich saß allein im Arztzimmer, als Professor Enggässer über die Schwelle trat«, entsann sich Leikart mit Groll in der Stimme. »›Meine Karriere als Chirurg ist vorbei‹, sagte Enggässer hasstriefend. ›Ihre jedoch wird gar nicht erst beginnen.‹ Plötzlich umklammerte Enggässers Faust meine rechte Hand. Aus seiner
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