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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Autoren: Ines Kiefer
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Mein Leben auf Beinen
    W enn ich im Rollstuhl sitzen würde, ich glaube, ich würde mich umbringen«, sagte ich zu meiner Freundin Manu.
    Sie nickte. »Ich mich auch. Das ist doch kein Leben. Wir könnten nicht mehr tanzen!«
    »Das will ich mir gar nicht vorstellen«, erwiderte ich und schaute dem alten Mann nach, der mit seinem Rollstuhl mühsam über den schlammigen Parkplatz fuhr. Ein kleiner grauer Terrier mit einem violetten Halstuch – Clubfarbe von Dynamo Dresden – trottete neben ihm her.
    Manu, die ich schon seit dem Kindergarten kenne, zupfte mich ungeduldig am Ärmel meines funkelnagelneuen weißen T-Shirts. »Komm, lass uns endlich reingehen!«
    Das Wummern des Basses drang bis vor die Tür des Ballhauses Tivoli und vibrierte leicht in meinem Bauch wie zuvor das Grollen des weiterziehenden Sommergewitters. Manu warf einen prüfenden Blick in eine Fensterscheibe und stöhnte auf.
    »Guck dir mal meine Haare an, wie die runterhängen. Gerade erst gewaschen und geföhnt, und jetzt schlabbert das alles schon wieder. Wenn der Große mit den blonden Haaren da ist! Was soll der denken?«
    »Du siehst toll aus!«
    »Ne, das denkt der bestimmt nicht!«
    »Aber ich!«, blieb ich hartnäckig.
    »Ich glaube, ich geh noch mal föhnen. Oder hast du Haarspray dabei?«
    »Quatsch! Wir gehen jetzt da rein.«
    »Du willst ja nur so schnell auf die Tanzfläche, weil du hoffst, dass er wieder da ist.« Manus braune Augen blitzten mich herausfordernd an.
    »Kann schon sein«, grinste ich. Irgendeinen »Er« gab es immer, aber diesen hier gab es schon ziemlich lange. Mindestens drei Wochen, eine beachtliche Zeitspanne für eine Sechzehnjährige.
    Manu kramte in ihrer Tasche nach ihrem Toupierkamm, und ich stand mir die Beine in den Leib. Tänzerinnenbeine. Lange Beine. Schöne Beine. Muskulöse Beine. Manu und ich waren beide Gardetänzerinnen. Das Tivoli – Ballhaus ließen wir weg – war unsere Stammdisco. Viel Auswahl hatten wir in Freiberg nicht, obwohl die Stadt rund 50 000 Einwohner zählt. Freitagabend gehörte das Tivoli der Jugend, Samstagabend nahmen es die Alten zwischen 25 und 35 in Beschlag. Hier hatten schon die Puhdys gespielt, das hatten Manu und ich uns natürlich nicht entgehen lassen. Und hier traten wir auch als Gardetänzerinnen mit dem FKK, dem Freiberger Karneval Klub, auf und warfen unsere Beine hoch in die Luft beim Cancan.

Ein seltener Moment im Tivoli: Ich bin nicht auf der Tanzfläche.
    Stark waren meine Beine. Und unermüdlich. Die konnten sprinten wie verrückt. Und 1000 Meter laufen in einer Superzeit. In meiner Klasse war ich die Schnellste und ließ auch ein paar von den Jungs auf der Aschenbahn im roten Staub hinter mir.
    Launisch waren meine Beine. Nicht, dass ich überall Sonnenbrand gekriegt hätte, ne, immer zuerst auf den Knien. Die leuchteten dann knallrot. Und das, wo ich doch so gern Hot Pants trug. Röcke eher weniger, außer in der Disco. Miniröcke, na klar, mit braunen Strumpfhosen drunter für den Bronzeteint.
    Für die nötige Bodenhaftung beim Tanzen sorgten meine Füße. Schöne, schmale Füße, Schuhgröße 36, mit zehn Zehen, die ich spreizen konnte und rauf und runter bewegen. Als Kind hatte ich eine Weile am Ballettunterricht teilgenommen. Seither musste mir nie jemand sagen »Spitz die Füße«, die waren immer gespitzt bei mir. Automatisch. Ich mochte das Graziöse, das Muskulöse. Wenn ich mit dem großen Zeh irgendwo dranstieß, dann spürte ich das. Ich spürte es auch, wenn ich meine Füße zu sehr malträtierte. Ich liebte High Heels – je höher, desto besser. Bei einer Körpergröße von 1,62 Meter konnte es mir gar nicht hoch genug sein.
    Manchmal habe ich meine Beine eingecremt. Gedankenlos, so vermute ich heute, denn ich erinnere mich nicht richtig daran, wie das ist, wenn man seine Beine eincremt und das auch spürt. Wie sich das anfühlt, wenn man mit frisch rasierten Beinen im Sommerwind steht. Das ist ein ganz anderes Gefühl, als wenn noch Härchen dran sind … oder? Ich glaube schon. Jeden Frühling das Glücksgefühl, wenn man das erste Mal kurze Sachen anziehen und mit nackten Füßen in Sandalen schlüpfen kann. Freiheit für die Zehen! Barfuß durch nasses Gras laufen und durch flaches Wasser am Ufer und auch mal in eine Pfütze springen. Überhaupt: Barfuß laufen! Piksende Kieselwege entlang. Rennen, rennen, rennen, bis es in der Lunge sticht.
    Oder Muskelkater vom Training. Wenn ich kaum mehr auftreten konnte, weil ich zu viel fürs
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