Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel
Autoren: Max Bronski
Vom Netzwerk:
Schmerz, als würden Fetzen meines jetzt kaputten Hirns in einem kleinen Punkt zusammenschießen, machte mich stumm. Stan tastete mich ab, nahm meinen Totschläger an sich und schob ihn sich hinter seinen Gürtel.
    Ich verlor das Bewusstsein.
    57
    Ob ich allein im Raum war, als ich aufwachte, konnte ich in meiner Benommenheit nicht feststellen. Ich mobilisierte meine Kräfte für einen vielleicht rettenden Gedanken: Früher hatte Stan in der Schublade zu seiner Sicherheit immer eine Waffe verwahrt. Ich robbte an den Schreibtisch heran und hoffte, dass dies noch genauso sein würde. Nun kniete ich vor der geöffnete Schublade und tastete sie mit beiden Händen ab. Jeder Herzschlag drückte Schmerzwellen durch meinen Kopf, die mich blind machten, sodass ich keinen Gegenstand fixieren konnte. Aber ich hatte etwas Kaltes, Metallisches erspürt, es fühlte sich an wie ein Revolver. In meinem dumpfen Drang hatte ich nicht weiter auf Stan geachtet.
    – Du Ratte, hörte ich ihn hinter mir.
    Er trat mit dem Fuß gegen die Schublade. Ein noch gewaltigerer Schmerz als zuvor durchfuhr mich. Als wären mir mit diesem Tritt beide Hände abgehackt. Ich schrie auf, sah noch, wie Stan braunes Klebeband von der Rolle riss, und spürte, wie er meinen Kopf damit umwickelte, um mich zu knebeln. Wieder rutschte ich in einen tiefen Abgrund von Bewusstlosigkeit, versuchte noch, mich oben festzuklammern, konnte aber nichts mit hinunternehmen als ein Gefühl tiefer Verzweiflung.
    Irgendwann spülte es mich aus tiefer Betäubung in ein halb bewusstes Zwischenreich voller Schmerzen hoch. Ich sah nichts, konnte keinen Gedanken fassen, ich hörte nur die Schreie einer Frau. Ein starker Luftzug ließ mich zurückkehren. Dazu ein heftiges Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren würde, wenn ich es nicht verhinderte. Ich öffnete die Augen. Stan hatte mir Mund, Unterarme und Beine mit Klebeband umwickelt. Die Tür zum Nebenraum stand offen. Meine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich: Emma stand nebenan. In der Hand hielt sie einen Holzprügel, ein Stuhlbein offenbar.
    Mein Gott, offenbar hatte sie meinen Schrei gehört und versucht, mir zu Hilfe zu eilen!
    – Komm bloß nicht näher, rief sie weinend.
    Stan hielt in der Linken wie ein Raubtierbändiger einen Stuhl vorneweg und meinen Totschläger in der Rechten. Ein Adrenalinstoß ohnegleichen durchfuhr meinen zerschundenen Körper. Es durfte nicht sein, was sich nun anbahnte. Wie ein Wurm kroch ich auf dem Boden zum Schreibtisch. Dort angekommen schaffte ich es, mich zu kniender Haltung aufzurichten. Ich stützte die Ellenbogen auf die Schreibtischplatte und zog mich in den Bürostuhl hoch. Mit meinen Oberschenkeln schob ich die Schublade ruckweise auf. Endlich lag Stans Revolver vor mir. Ich wollte zugreifen, merkte aber, dass mir meine Hände nicht mehr gehorchen wollten. Sie waren gebrochen. Tränen der Wut und der Hilflosigkeit schossen mir in die Augen. Ich hätte schreien mögen, nach oben hin, dass mir nun einer gefälligst beistehen müsse.
    – Gossec!, schrie Emma, hilf mir!
    Ich wusste nicht, wie, ich wusste nur, dass ich den Revolver mit beiden Händen griff und zweimal den Abzug durchzog. Dann erlosch alles.
    58
    – Einer ist tot, der andere verletzt, sagte eine Stimme.
    Das musste Dieselhofer sein. Demnach hatte ich Stan erwischt. Tiefe Befriedigung durchsickerte mich.
    – Geht es wieder?, fragte Dieselhofer.
    Ich hörte das Schluchzen einer Frau.
    – Ja.
    Das war Emma. Erleichtert gab ich mich auf, als dürfte ich nun endlich die Stange loslassen, an der ich mich festgeklammert hielt. Dann wurde ich in gleißendes Licht getaucht. Ein strahlendes Weiß von großer Klarheit breitete sich aus, in das sich ein bläulicher Schimmer mischte, der es so funkelnd klar wie das Eis eines gefrorenen Gebirgsbachs anmuten ließ. Ich konnte nicht entscheiden, ob es Farben oder Gefühle waren. In einem Schwung, wie ich ihn früher nur beim Schiffschaukeln erlebt hatte, wurde ich emporgehoben, von der Schaukel freigegeben und flog dem Licht entgegen.
    Von irgendwoher stahl sich der Gedanke in meinen Kopf, dass nicht Stan, sondern ich der Tote sein müsse.
    Freilich, ich war im Himmel!
    Mochte ja sein, dass man zuvor viele Fragen hatte, wie es wohl sein würde, als es so weit war, fiel jeder Zweifel von mir ab, als hätte ich es immer schon gewusst. Und sie hatte recht! Die verstorbene alte Frau in der Albert-Roßhaupter-Straße hatte genau nachempfunden, wie es da oben zuging: Engel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher