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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel
Autoren: Max Bronski
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angeln. Der Witz war zwar abgestanden, aus Respekt vor der Immobilie lachte ich trotzdem. Zusammen mit dem frischen Vereinsausweis lag eine Einladung für den Stammtisch der Fliegenfischer im Briefkasten, und ich hielt es für angezeigt, meine Kenntnisse ein wenig aufzufrischen.
    Von Zeit zu Zeit linste ich nach hinten, wo ein Kunde meine Blechware in den aufgestellten Kisten durchwühlte. Ein schmales Bürschlein, Kapuze über den Kopf gezogen, Fieldjackett im Militärstil. Er kam mir bekannt vor, ich brachte ihn aber nicht mehr bündig in meinen Erinnerungen unter. In den Zeiten, als ich noch meine Pflegetochter betreute, tauchte des Öfteren ein Freund von ihr im Laden auf, der seinen kleinen Bruder überallhin mitschleppte. Irgendetwas in dieser Richtung musste es mit ihm gewesen sein oder auch nicht. Ich war inzwischen einer Altersklasse zugehörig, in der man Einzelwesen aus der Hammelherde junger Kerle nur dann noch zweifelsfrei identifizieren konnte, wenn sie einen Opa nannten. Jedenfalls war der unbekannt Gewordene jetzt groß genug, um sich mit großer Begeisterung durch meine Blechware zu arbeiten.
    Was gab es da nur zu finden? Mea Culpa! So genau sah ich gar nicht hin, was ich aus Nachlässen herauszerrte an Abzeichen, Orden oder Ansteckern. Wenn der Kunde damit ankam und kaufen wollte, konnte man immer noch überlegen, was es ihm wohl wert war und ob man so etwas überhaupt verkaufen durfte. Ich guckte ihn über meine Zeitschrift hinweg an, er drehte sich um.
    – Hast du auch Wehrmachtsplakate, Kamerad, fragte er frech.
    Wahrscheinlich wollte er mich gesinnungsmäßig antesten.
    Jetzt bemerkte ich, dass er doch anders als die meisten seiner Altersklasse aussah. Er trug ein Kapuzenshirt mit Frakturschrift, außerdem fielen mir seine Springerstiefel unter den hochgekrempelten Hosenbeinen ins Auge. Alles da, aber eben doch ein schmales Bürschlein mit Streuselkuchengesicht, einer, den das Leiden der Pubertät in die vollkommen falsche Ecke geschickt hatte. Meinethalben, aber jetzt ging es erst mal darum, Flagge zu zeigen.
    – Verpiss dich. Ab mit dir! So einen wie dich will ich nie wieder in meinem Laden sehen.
    Ich packte ihn an der Brustfraktur und schob ihn aus meinem Laden hinaus.
    – Das wirst du noch bereuen, zischte er.
    Er war noch bleicher als vorher geworden.
    3
    Schlagartig bekam ich ein schlechtes Gewissen. Wie viele Heldengedenktage und sonstige Gedächtnisaufmärsche hatte ich schon verstreichen lassen, ohne einen Finger zu rühren. Wie Kletten hefteten sich die Jungbraunen an unser Viertel, um ihre Kameradschaftstreffen, Julfeiem und anderen nordischen Märchenabende abzuhalten. Bis in unseren Stadtrat hatten sie sich vorgekämpft. Dass ich mich jetzt gegen die unerwünschte Kundschaft zur Wehr setzen musste, war nur die Spitze des Eisbergs.
    Es rumorte in mir. Also rief ich Julius an und redete druckvoll auf ihn ein. Der wiegelte ab, weil er anderes im Sinn hatte. Die Website seines Premiumkunden war nachzubessern. Der Mühlen-Fredi hatte gestern Pfundweckerl statt Roggenschrot ausgeliefert, weil der Warenkorb bockte. Also programmierte Julius mit Feuer unterm Arsch. Aber als alter Freund verstand er sofort, dass mein Bedürfnis nach Aussprache eine gewisse Dringlichkeit erreicht hatte. Er versprach, nach Geschäftsschluss bei mir vorbeizuschauen.
    Gegen sieben Uhr kam er dann mit einem Kasten Weißbier herüber, den er kommentarlos in der Küche abstellte. Wir entkorkten eins nach dem anderen und begannen von unserem häuslichen Feldherrnhügel aus die Weltlage zu erörtern. Inzwischen hatte ich viel Zeit gehabt, meine Entrüstung und Befürchtungen mit einem soliden Unterbau zeitgeschichtlicher Analogien zu sockeln. So vorbereitet, nagelte ich meine Argumente unter Mithilfe des Küchentischs vor Julius hin, der das Pech hatte, der erste Adressat zu sein. Dass er anfänglich nur nickte, brachte mich auf die Palme. Nachdem ich sonst nichts an seiner Haltung auszusetzen hatte, prangerte ich seine Bierruhe an. Schließlich wurden wir doch ziemlich laut. Irgendwann klopfte Rübl ans Küchenfenster und fragte, ob alles in Ordnung sei. Das war es mit uns beiden sicherlich, ich hätte nur wissen können, dass man auch mit seinem besten Freund niemals unter massivem Alkoholeinfluss politisieren sollte. Weil man sich im Prinzip versteht, schraubt man sich bei untergeordneten Themen, die noch kontrovers sind, immer weiter in auftrumpfende Rechthabereien hinein.
    – München ist dabei wieder
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