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Sumpfblüten

Sumpfblüten

Titel: Sumpfblüten
Autoren: Carl Hiaasen
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1. Kapitel
    Am zweiten Tag des Januars, strahlend und windig, versenkte ein Halbblut-Seminole namens Sammy Tigertail eine Leiche im Lostmans River. Die Wassertemperatur betrug 15 Grad, zu frisch für Haie oder Alligatoren.
    Aber vielleicht nicht für Krabben, dachte Sammy Tigertail.
    Während er zusah, wie der Leichnam versank, sann er über die Dummheit der Weißen nach. Dieser hier hatte sich Wilson genannt, als er mit einer gewaltigen Alkoholfahne in der Big Cypress Reservation aufgetaucht war und eine Tour auf einem Propellerboot verlangt hatte. Er redete davon, dass er das neue Jahr im Hard Rock Hotel & Casino eingeläutet habe, das dem Stamm der Seminolen gehörte, auf einem Gebiet von 35 Hektar zwischen Miami und Fort Lauderdale. Wilson erzählte Sammy Tigertail, dass er schwer enttäuscht sei, nicht einen einzigen Indianer im Casino angetroffen zu haben, und dass er nach einer ganzen Nacht des Saufens, der heißen Miezen und des Pokerns den ganzen Weg bis nach Big Cypress rausgefahren sei, nur um sich mit einem echten Seminolen fotografieren zu lassen.
    »Irgend so ’n Vollidiot hat hundert Dollar gewettet, dass ich keinen finden würde«, sagte er und hakte einen schwabbeligen Arm um Sammy Tigertail, »aber hier sind Sie jetzt, Bruder. Hey, wo krieg ich denn hier so ’ne Pappkamera?«
    Sammy Tigertail wies ihm den Weg zum Laden. Der Mann kam mit einer Wegwerfkamera, einer Tüte Trockenfleischstreifen und einem Sixpack zurück. Glücklicherweise war der Motor des Propellerbootes so laut, dass er den größten Teil von Wilsons Lebensgeschichte übertönte. Sammy Tigertail bekam genug mit, um zu erfahren, dass der Mann aus der Gegend von Milwaukee stammte und sich seinen Lebensunterhalt damit verdiente, Glasaugenbarsch-Fischern Schleppangelmotoren zu verkaufen.
    Nach zehn Minuten Fahrt färbten sich Wilsons Wangen durch die Kälte rosig, seine blutunterlaufenen Augen begannen zu tränen, und er zog schlotternd die Schultern hoch. Sammy Tigertail hielt das Propellerboot an und bot ihm heißen Kaffee aus der Thermosflasche an.
    »Wie w-w-wär’s mit dem F-f-foto, das Sie versprochen haben?«, fragte Wilson.
    Geduldig stand Sammy Tigertail neben ihm, als der Mann den Arm ausstreckte und mit der Kamera auf sie beide zielte. Sammy Tigertail trug eine Fleecejacke von Patagonia, eine Wollmütze von L. L. Bean und dicke Khakihosen von Eddie Bauer; nichts davon würde als traditionelle Seminolentracht durchgehen. Wilson fragte ihn, ob er so eine bunte, mit Perlen besetzte Jacke hätte und vielleicht ein Paar Hirschleder-Mokassins. Der Indianer verneinte.
    Wilson wies ihn an, nicht zu lächeln, und schoss ein paar Bilder. Danach warf Sammy Tigertail den Motor wieder an und machte sich daran, die Sumpftour mit größtmöglicher Geschwindigkeit zu Ende zu bringen. Wegen des kalten Wetters waren praktisch keine wilden Tiere zu sehen, doch das schien Wilson nichts auszumachen. Er hatte gekriegt, weswegen er hergekommen war. Jetzt blinzelte er gegen den Fahrtwind an, nagte an einem Trockenfleischstreifen und nippte an einem warmen Heineken.
    Sammy Tigertail nahm eine Abkürzung durch eine Prärie aus hohen Schneidebinsen, die unter dem Bug des Propellerbootes so glatt umkippten wie Weizen unter einem Mähdrescher. Ohne Vorwarnung fuhr Wilson von seinem Platz hoch und ließ die Bierflasche fallen, deren Inhalt über das Deck spritzte. Als Sammy Tigertail die Fahrt wegnahm, sah er, wie Wilson zu schwanken begann und sich krampfhaft an die Kehle griff. Er dachte, der Mann hätte sich an einem Stück Trockenfleisch verschluckt, tatsächlich jedoch versuchte er, eine kleine gebänderte Wassernatter von seinem schwammigen Hals zu lösen, die aus den sich teilenden Binsen geflogen gekommen war.
    Die Schlange war harmlos, doch offensichtlich war Wilson nicht in der richtigen Verfassung, um von einem fliegenden Reptil überrumpelt zu werden. Ehe der seminolische Fremdenführer das Boot anhalten konnte, kippte er mit einem Herzinfarkt tot um.
    Das Erste, was Sammy Tigertail tat, war, die kleine Schlange von dem leblosen Touristen abzuklauben und sie in den Sumpf zu setzen. Dann nahm er Wilsons linkes Handgelenk und tastete nach einem Puls. Er fühlte sich verpflichtet, das Hemd des Mannes aufzuknöpfen und ein paar Minuten lang auf seine bläulich marmorierte Brust einzudreschen. Der Indianer zog es vor, Mund-zu-Mund-Kontakt zu vermeiden, da es ganz offenkundig sinnlos war. Wilson fühlte sich so kalt an wie ein Froschbauch.
    In
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