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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel
Autoren: Max Bronski
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ausholte, um diesen sturen Ochsen zur Räson zu bringen. Ich nahm den Schlüssel vom Haken und ging in den Keller hinunter, wo sich in einem Abteil ein provisorisches Lager von mir befand. Mein Giftschrank. Dort lagen auch die Teile aus dem Kostümfundus eines Theaters, die ich nicht zum freien Verkauf anbieten wollte: darunter ein Wehrmachtsmantel, Stiefel und eine SS-Offiziersmütze. Flugs hatte ich mich umgekleidet. Mit einem Kajalstift markierte ich noch das Bärtchen. Julius stand hinter mir und beobachtete mich fassungslos.
    – Spinnst du?
    – In zwanzig Minuten bin ich wieder da, und dann wissen wir, wer recht hat!
    Als ich das Haus verließ, saß Julius sprachlos in sich zusammengesunken in der Küche.
    4
    Trotz des frühen Abends war das Viertel menschenleer. Dem nasskalten Wetter wollte sich kaum jemand aussetzen. Die paar Passanten, die mir über den Weg liefen, taten so, als bemerkten sie nichts. Da war einer zum Maskenball unterwegs. München im Fasching! Oder ein ungläubiger Schrecken hatte sie fest am Wickel, nach dem nicht sein durfte, was sie sahen. Als ich in die Thalkirchner Straße einbog, schlotterte ich bereits unter dem weiten Mantel. Die Kälte kroch unter meine Totenkopfmütze, und mit ihr begannen sich dort Zweifel einzunisten. Natürlich war das, was ich da abzog, eine vollkommen hirnrissige Aktion. Einmal die Arbeitsagentur Umrunden und dann sofort wieder zurück nach Hause, dachte ich.
    Dieser Plan wurde durchkreuzt. Von der Lindwurmstraße her näherte sich ein Fahrzeug mit Blaulicht. Offenbar hatte ein braver Bürger die Polizei verständigt. Ein probates Mittel: Wenn man sich in Recht und Unrecht nicht mehr selbst einmischen mochte, konnte man seine Zivilcourage telefonisch lamentierend im nächsten Revier abgeben und die Funkstreife bestellen. Ich lief über die Straße zum alten Südfriedhof hin, in dessen verschwiegene Dunkelheit ich mich zu flüchten hoffte. Als ich den Weg zwischen altem und neuerem Teil entlanghastete, sah ich beim Eingang Feuerschein. Dort hielten sich nicht selten Penner auf, wahrscheinlich hatten sie sich ein Feuer angezündet, um ihre Knochen zu wärmen. Als ich näher kam und feststellte, wen ich vor mir hatte, erstarrte ich. Die Heftigkeit meiner Reaktion schien sich ebenso sehr in den Gesichtern der anderen zu spiegeln: Ich stand vor einem Trupp Neonazis, die neben dem Friedhofseingang eine Mahnwache mit Fackeln abhielten.
    5
    Was machten die denn da? Die dahinter stehende Geschichte ließ sich rasch rekonstruieren; ich hatte sie in Etappen mitverfolgt, aber eben nicht die nötigen Schlüsse daraus gezogen. Ursprünglich und lange unbeachtet war neben dem Friedhofstor eine Platte mit den eingemeißelten Namen toter Soldaten angebracht gewesen, die Anfang des letzten Jahrhunderts im damaligen Südwestafrika umgekommen waren. Den Toten des Kolonialkriegs – so hatte man das ehrende Gedenken überschrieben. Etwa hundert Jahre später hatten Kriegsgegner aus dem Viertel die Tafel mit no war! übersprüht. Die Friedhofsverwaltung ließ die Steinplatte abnehmen, reinigen und sie so hoch oben an die Mauer hängen, dass man sie nur mit riesigen Leitern hätte erreichen können. Bald darauf war die Inschrift mit zielsicher geworfenen Farbbeuteln unleserlich gemacht. Wieder entschloss sich die Friedhofsverwaltung, die Tafel abzunehmen, diesmal für immer. Das wiederum hatte die Neonazis auf den Plan gerufen, denn hier war ein Denkmal für den deutschen Soldaten geschändet worden.
    Dass wegen der Tafel eine Auseinandersetzung zwischen Pazifisten und Rechten hin- und herging, hatte ich wohl mitbekommen. In der Zeitung war darüber berichtet worden, und neulich lag ein Flugblatt im Dreck, das ich mir mit dem Stiefel etwas hergerichtet hatte. Darin war von einer Mahnwache die Rede, wo und wann, darum hatte ich mich nicht weiter gekümmert. Solange man ihnen nicht direkt gegenüberstand, nahm man dergleichen als Nachrichten aus einer anderen Welt hin. Dabei zogen die Neonazis ja schon länger durch unser Viertel, trafen sich in Gasthäusern mit gut deutschem Namen und ebensolchem Bier und verprügelten hinterher Griechen, Türken oder Schwarze. Kurzzeitig war das ein Thema. Dann, ohne dass man einen Finger rühren musste, wurden solche Gasthäuser umbenannt, firmierten nun als Bistro, und das breite Bündnis der Mutant Heroes aus Döner, Pizza und Souvlaki, das sich zu solchen Anlässen wie von selbst aufstellte, hatte einen großen multikulturellen Sieg errungen.
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