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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel
Autoren: Max Bronski
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einer Lederkordel hängt. Bier öffnen und Kronkorken entsorgen werden hierdurch auf schönste Weise eins. Oder die Blechdose mit Zigarettentabak im Kühlschrank, in der er so frisch wie in einem Humidor bleibt. Der nie versiegende Vorrat von Wildschweinpastete in Dosen, nebst Dillgürkchen, wenn man mal einen richtigen Wolf auf etwas Deftiges zwischendurch hat.
    Solche Verlustängste plagten mich, bis mich Emma strahlend mit der Nachricht überraschte, dass sie bei Melatone angedockt habe. Statt an mir und unserem Leben herumzumäkeln, verschoben sich ihre Interessen Richtung Arbeit, und ich genoss es, sie nach ihren Reisen wieder begrüßen zu dürfen, aber auch, mich von ihr zu verabschieden, um mich anschließend in meine Höhle zurückziehen zu können.
    Ich rief sie gleich zurück. Von meinen Eskapaden erzählte ich ihr nichts, Sorgen um mich machte sie sich genug. Stattdessen schilderte ich ihr, dass ich Wolfertshofer kennengelernt hatte und in seine Vorstellung eingeladen war. Ob sie mich denn nicht begleiten wolle? Sie willigte gerne ein, beflügelt von der Vorstellung, mit Wolfertshofer, den sie als Kabarettisten sehr schätzte, nun auch selbst Bekanntschaft zu machen. Wenigstens dazu hatte ich es gebracht: sie bei ihm einführen zu können.
    Während wir redeten, saß ich auf einer Chaiselongue, die sich zwar als unverkäuflich erwiesen hatte, mir aber zu einem Lieblingsmöbel geworden war, auf dem ich abends lag und abhing. Aus dem dunklen Laden guckte ich nach draußen auf die erleuchtete Straße. Ein junger Kerl drückte sich da draußen vorbei, der meinen Laden zu visitieren schien. Er erinnerte mich heftig an das Streuselkuchengesicht, das die Ereignisse dieses unseligen gestrigen Tages ausgelöst hatte. Doch dann war er verschwunden. Wenig später allerdings tauchte er wieder auf. Der hatte doch etwas vor! Gedroht hatte er mir schon.
    Ich beendete das Telefonat mit Emma rascher als vorgesehen, schnappte mir Totschläger und Lederjacke – man wusste ja nie, wen er sonst noch mitgebracht hatte – und ging hinaus auf die Pirsch. Dazu hockte ich mich einfach gegenüber in einen dunklen Hausgang und behielt meinen Laden im Auge. Lange musste ich nicht warten, bis er angeschlappt kam. Ziellos und unentschlossen, wie sie immer den Gehsteig entlangsurfen. Als er wieder meinen Laden anpeilte, packte ich ihn von hinten.
    – Wenn du muckst, ziehe ich dir eins über den Schädel.
    Ich drehte ihn herum. Mann, sah der scheiße aus! Er hatte ein blaues Auge und eine geschwollene Unterlippe abbekommen. Seine Militärjacke war offen, aus dem Schriftzug über seiner Brust war ein Stück herausgeschnitten worden, offensichtlich das NSDA. Ich erkannte sofort, dass der Junge, der so gerne den harten Kerl auf die Bühne gestemmt hätte, sich zu dem Waschlappen zurückentwickelt hatte, der er schon immer war.
    – Du musst mir helfen, stammelte er.
    Das hatte gerade noch gefehlt! Wie kam der nur darauf, einen gewaltbereiten Mann in Lederjacke mit einem Sozialarbeiter zu verwechseln?
    9
    Er saß mir am Küchentisch gegenüber und hielt sich an seiner Teetasse fest. Sein Name war Maik, genauer gesagt: der kleine Maiki, der immer als Bruder von Robin gegolten hatte, aber eigentlich nur das Kind eines episodischen Stiefvaters von Robin war. An dieser Stelle konnte man jede weitere Ausforschung seines Stammbaums einstellen. Sogar bei den Trobriandern waren die Verwandtschaftsverhältnisse übersichtlicher als in meiner Generation. Dem Buchstaben des Gesetzes nach keine Kinder zu haben, bedeutete nicht, dass es nicht doch irgendwo welche gab. Man kannte sie eben nicht. Oder noch nicht. Woraus folgte, dass wir irgendwie auch gemeinschaftlich für eine gewisse Generation Jugendlicher einstehen mussten. Deswegen durfte nun dieser verirrte und hochgradig verwirrte Nachzügler auf meinem Küchenstuhl Platz nehmen. Achtzehn Jahre war er alt.
    Bevor er loslegte, zeigte ich ihm erst mal die Harke, damit da keine falschen Hoffnungen aufkamen.
    – Wenn du glaubst, dass ich die Mutter Teresa für gestrandete Neonazis bin, hast du dich geschnitten.
    Eigentlich sollte er möglichst rasch die Karten auf den Tisch legen und sagen, was er von mir wollte. Notgedrungen musste ich mir seine Geschichte anhören, die Kurzfassung zumindest. Was sich beim ihm abzeichnete, war nicht so simpel gestrickt, wie man hätte vermuten können. Im Gegenteil. Natürlich hatte er wechselhafte familiäre Konstellationen hinter sich gebracht, aber man war immer
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