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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel
Autoren: Max Bronski
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ebensolchem Blutfettspiegel gezeichnet, empfahl er mir die Semmel mit Kalbskäs, weil sie genauso schmackhaft, aber eben ein bisschen magerer sei, und gab damit ein Beispiel, wie der Einzelhandel auf die Anforderungen der heutigen Zeit reagierte. Und er hatte recht, sie schmeckte wirklich gut.
    Ich fuhr nach Hause und ging gleich bei Julius vorbei. Früher, als er noch Hardware zusammengeschraubt und repariert hatte, glich sein Büro einer Höhle, in der von Decke und Fußboden elektronische Teile einander entgegenwuchsen. Inzwischen hatte er vollständig auf Software umgesattelt und den Raum entrümpelt. Außer einigen Rechnern und Abfalltüten mit Plastikterrinen gab es dort vor allem seine Bassgitarre mit Verstärker, um sich zwischendurch mit Musik ablenken zu können.
    Als ich hereinkam, lag Julius flach auf einer Bastmatte im Eck und schnarchte. Durch exzessives Meditieren im Lotussitz hatte er sich eine Schleimbeutelentzündung in beiden Knien geholt. Der Arzt hatte ihm dringend empfohlen, seine Sitzhaltung zu verändern. Seither streckte er sich auf einer Bastmatte aus und entspannte dort durch seine jahrelange Übung so vollständig, dass er zumeist rasch einschlief.
    Ich gab ihm anstandshalber zehn Minuten, dann schnippte ich mit den Fingern. Sein Schnorcheln wurde unwillig, schließlich hob er den Kopf.
    – Warum hast du mich nicht geweckt?
    Er stand auf und machte die letzte Übung des Samurai, die übersetzt lautet: Von der inneren Ruhe zum kraftvollen Handeln. Dann kreuzte er die Arme auf der Brust und verbeugte sich.
    – Was kann ich für Sie tun, Meister?
    – Irdischer geht es gar nicht: Wie kann ich feststellen, ob eine Firma finanzielle Schwierigkeiten hat?
    Julius starrte mich so kurzsichtig wie ein Maulwurf an. Mit meiner Frage hatte ich ihn aus dem Garten der sich verzweigenden Pfade der Weisheit mitten hinein in das Zentrum des Kapitalismus katapultiert.
    – Auch eine Tasse grünen Tee?
    Er wollte kein Antwort, sondern Zeit. Ohne sich von irgendetwas ablenken zu lassen, bereitete er eine Kanne Tee und goss uns ein.
    – Das Einfachste wäre, du suchst in Internet. Dort werden nämlich seit einiger Zeit Bilanzen veröffentlicht. Ist es eine GmbH?
    Ich zuckte die Achseln.
    – Bolzmann eben. Würdest du für mich?
    Julius klapperte auf seiner Tastatur.
    – Hier: Bolzmann Kulturwerkstatt. Die letzten beiden Jahre.
    Ich beugte mich über seine Schulter.
    – Sieht doch gut aus.
    Julius ließ ein höhnisches Lachen hören.
    – So gut wie bei mir damals, als ich am Abnippeln war. Ach was, noch katastrophaler!
    – Erklär es mir.
    – Eine Bilanz muss immer ausgeglichen sein. Wenn die Firma das nicht mehr hinkriegt, muss sie Insolvenz anmelden. Hier, das ist das Entscheidende!
    Er deutete mit Mauszeiger auf die Stelle.
    – Betriebsergebnis schwer negativ.
    Nun steuerte er einen anderen Posten an.
    – Und hier: Ausgeglichen ist das Ganze durch eine Gesellschaftereinlage.
    – Und das heißt?
    – Er hat sich wahrscheinlich jede Menge Geld geliehen und in die Firma eingeschossen. Wenn sich die Lage inzwischen nicht vollkommen verändert hat, muss man bei diesen Summen annehmen, dass der Mann viel unterwegs ist, um den nötigen Geldnachschub zu besorgen.
    – Genau das habe ich vermutet. Danke!
    Ich umarmte ihn.
    – Jetzt krieg ich ihn am Wickel. Aber zuerst muss ich noch zu den Kartenspielern, um absolut sicherzugehen.
    Ich hob zum Abschied die Hand. Julius zuckte die Achseln und wendete sich seinen Rechnern zu.
    54
    Ich ging hinüber zum Schlachthof . Schnell hatte ich in dem belebten Wirtshaus den Schreiner gefunden, den ich mir wegen seines Schnauzers als Mitspieler von Wolfertshofers Kartenrunde hatte merken können. Die vier am Tisch mochte ein Auswärtiger für Halbdebile auf Freigang halten, der Einheimische jedoch erkannte in ihnen sofort die Schafkopfexperten. Sie sprachen Worte und Sätze, die an Sentenzen aus einem Bauernkalender erinnerten. Der Schafkopfer hat für nahezu jede Situation des Spiels einen Spruch parat, mit dem die fällige Aktion und Reaktion in eine knorrige Regel geschnitzt sind. Die gebetsmühlenhafte Wiederholung auch nur um ein Jota zu verändern, ist kein Zeichen von Originalität, sondern Ungeschicklichkeit. Natürlich sind manche Formulierungen so gelungen, dass man sie nicht oft genug zitieren kann. Findet man zum richtigen Zeitpunkt das rechte Wort, ist einem normalerweise Anerkennung gewiss. Für die derbe Schafkopfsprache, in der man sich auch noch mit
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