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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel
Autoren: Max Bronski
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aufzubringen hatte, dachte ich mir als Pfeil, der vom Bogen schnellte und geradeaus ins Ziel flog.
    Später rief noch Julius an, um sich nach mir zu erkundigen. Ich hörte seine Stimme über meinen Anrufbeantworter, nahm aber den Hörer nicht ab. Weit nach Mitternacht schlief ich auf meiner Chaiselongue ein.
    56
    Sieben Uhr früh anderntags wachte ich auf. Dann stellte ich mich unter die Dusche und trank einen Kaffee. Bis zum späten Vormittag vertrieb ich mir die Zeit mit Zeitunglesen und Radiohören. Dann steckte ich mir den Totschläger in den Hosenbund und zog meine Lederjacke darüber. Aus dem Schreibtisch holte ich die kleine Box mit dem Stück, das, wie ich nun wusste, Innerkoflers Janker angehört hatte. So gerüstet stieg ich in meinen Bus und fuhr los.
    Ein luftiger Frühlingstag war heraufgezogen. Überall zeigten sich schon grüne Spitzen an den Bäumen, und die Forsythien standen in gelber Blüte. Durch das geöffnete Wagenfenster blies ein mildes Lüftchen, dabei aber frisch und klar wie nur im Frühjahr. Als ich den Englischen Garten passierte, roch es erdig-feucht wie von einem guten Acker herüber, und sogar durch den Autolärm hindurch meinte ich das anschwellende Zwitschern der Vögel zu hören. Aber die Welt zeigte nicht zufällig ihren unwiderstehlichen Schmelz, denn das Bittere erst gab dem Leben die Tiefe, die es so schön machte.
    Die Kulturwerkstatt war im Erdgeschoss eines größeren Bürogebäudes untergebracht. Durch die weiten Fenstern hindurch sah man Stans Angestellte arbeiten. Ihn selbst konnte ich nicht entdecken. Ich riskierte es, klingelte und versuchte es gleich auf die vertraulich-lockere Tour.
    – Wo steckt Stan?
    Die Empfangsdame fragte, ob ich eine Verabredung mit ihm habe. Außer dem Termin von heute früh sei in ihrem Kalender nichts eingetragen.
    – Sieht ihm ähnlich, sagte ich.
    – Er ist in die Prinz-Rupprecht-Halle rübergegangen.
    Sie deutete aus dem Fenster auf die in unmittelbarer Nachbarschaft liegende Halle.
    – Er löst sein Büro dort auf. Soll ich ihn verständigen?
    – Schon gut, lassen Sie nur. Ich mache eine Überraschung daraus und besuche ihn dort.
    Das Gelände um das Gebäude herum war leer. Eine Schotterwüste ohne Baum und Strauch. Bei Konzerten waren hier Parkplätze ausgewiesen. Dicht vor dem Eingang stand ein schwarzer Van mit getönten Scheiben. Ich erkannte ihn, auch wenn das Rückfenster wieder intakt war. Um mir einen Überblick zu verschaffen, umkreiste ich einmal die Halle und stellte fest, dass alle anderen Zugänge und Notausgänge verschlossen waren. An der Stirnseite führte ein außen angebrachter Lastenaufzug ins obere Stockwerk.
    Auch sonst machte die Anlage einen tristen Eindruck. Das rissige Mauerwerk, die abblätternde Farbe der Türen – man verstand sofort, dass hier nichts mehr stattfinden würde. Neben dem Eingang lagen altes Gestühl, Bretter und Paletten auf einem Haufen. Man wollte das Ding abstoßen – eine andere Perspektive zeigte die zugemüllte Anlage nicht mehr auf.
    Vorsichtig drückte ich die Tür auf. Ich stand im Foyer. Die fleckigen Teppiche rochen nach feuchtem Schimmel. Die Garderobe war bereits zum Teil abgebaut. Durch eine der Schwingtüren betrat ich die Halle. In ihr herrschte dämmeriges Licht, denn die großen Fenster waren fast vollständig mit Planen verhängt. Der Bühne gegenüberliegend ragte eine offene Empore in den Raum. Der Treppenaufgang war mit VIP-Lounge und Veranstaltungsbüro ausgeschildert. Stan hielt sich mit Sicherheit dort oben auf. Seitlich an den Wänden waren metallene Steigleitern befestigt, um die Schienen, auf denen die großen Spots montiert waren, erreichen zu können. Auf einer dieser Leitern würde ich zur Empore hochklettern, dies schien mir ratsamer als der direkte Weg. Ich hatte mir Turnschuhe angezogen und war froh, dass ich auf so weichen und leisen Sohlen nach oben gelangen konnte. Von der Leiter aus war die Brüstung der Empore gut erreichbar, und ich stand nun in der VIP-Lounge. Eine reichlich mit Spiegeln ausgestattete Bar war aufgebaut; hier wirkte noch alles gediegen, roch aber schon muffig und ungelüftet. Hinter der Spiegelwand führte ein Gang in den Verwaltungsteil.
    Auf dem weichen Teppich konnte man sich geräuschlos fortbewegen. Überall standen Umzugskisten. Am Ende des Ganges sah ich eine Tür offen stehen. Vor einer Fensterfront war ein Schreibtisch aus dunklem Holz aufgebaut. Keine Frage, dies war Stans Platz. Wo er sich gerade aufhielt, ließ sich nicht
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