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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger
Autoren: Ilse Maria Dries
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„Vielleicht etwas Geheimes?“, fragte sie, plötzlich in einem scharfen Ton, den sie im selben Moment zu bedauern schien, denn sie begann zu grinsen, als ob sie einen Witz gemacht hätte.
    Andrea war jetzt vollends irritiert. „Etwas Geheimes? Warum sollte ich etwas Geheimes haben?“
    „War nur so eine Idee. Jetzt muss ich los. Ich habe ein Taxi draußen warten. Führerschein habe ich nämlich keinen.“ Dieses Geständnis löste nochmals eine klirrende Lachsalve aus. Dann bezahlte sie und blieb neben der Tür stehen, als sei es völlig selbstverständlich, dass Andrea ihr den Bierkasten ins Taxi trage. Und in dem Moment war es auch völlig selbstverständlich.
    Vom Schleppen des Bierkastens war Andrea durstig geworden. Er machte sich ein Augustiner Hell auf und nahm einen tiefen Zug. Dann rief endlich Nikki an und war gar nicht begeistert von der Verabredung im Schlachthof. Sie mochte Martin ebenso wenig wie er sie. Erst als er ihr eröffnete, dass es ein Geheimnis zu klären galt, und er ihr vom Einbruch erzählte, und dass ein seltsames Buch verschwunden war, willigte sie ein. Tja, die Neugierde, dachte Andrea.
    Kurz danach rief Martin nochmals an: Melitta würde auch mitkommen, er habe ganz vergessen, dass er eigentlich mit ihr verabredet sei. Er war so hektisch und kurz angebunden, dass Andrea ihm weder sagen konnte, dass das seltsame Buch verschwunden war, noch, dass er Nikki mit in den Schlachthof nehmen würde.
     
    Andrea freute sich, Melitta heute Abend zu sehen, aber er hatte auch ein wenig Angst, wegen Nikki. Melitta äußerte ihre Abneigung gegen Andreas Freundin zwar nie explizit, ließ sie jedoch immer eine gewisse Verachtung spüren. Nikki bemerkte dies wohl, bewunderte aber die Karrierefrau. Andrea hatte Melitta gleichzeitig mit Martin zu Beginn des zweiten Studiensemesters kennengelernt, als er es zur Abwechslung einmal mit Germanistik versuchen wollte. Sie stand in der Schlange, um sich für das Seminar »Die deutsche Literatur der 50er Jahre« anzumelden. Andrea las ein wenig gelangweilt im Stehen Bölls »Billard um halbzehn«, als ihn eine weibliche Stimme von hinten überfiel: Wo kriegt man denn dieses verdammte Anmeldeformular her?“ Andrea drehte sich um und sah ein Mädchen wie einen Traum: groß, schlank, lange schwarze Haare und ein schmales, braungebranntes, vor Leben sprühendes Gesicht. Mit Grübchen. Andrea setzte gerade zu einer Antwort an, aber der Typ vor ihm, ein kleiner, drahtiger, mit ungekämmten Haaren, hatte sich auch angesprochen gefühlt, und beide sagten unisono: „Dort drüben.“ Das Mädchen lachte, holte sich ein Formular, und Andrea und Martin, eben der ungekämmte Typ, wetteiferten miteinander, dem Mädchen, das gerade von Tübingen nach München gewechselt war, die richtigen Tipps für Dozenten und Seminare zu geben. Ein richtiger Gockeltanz war das, sagte sie später manchmal, als sie schon befreundet waren, wenn sie sich gegenseitig ihre Kennenlerngeschichte erzählten. Ihr schien es damals aber nichts auszumachen. Die Stunde, die sie noch in der Schlange verbrachten, unterhielten sie sich und gingen dann zusammen in die Cafeteria. Das Mädchen stellte sich mit „Melitta Simons, und die Kaffeefilter-Bemerkung habe ich schon zu oft gehört“ vor. Sie fragte Andrea und Martin, ob sie nicht mit ihr eine Arbeitsgruppe gründen wollten, um sich auf das Seminar vorzubereiten. Begeistert sagten sie ja. Melitta, Andrea und Martin blieben während des ganzen Studiums Freunde. Sie gingen gemeinsam in Seminare, gingen abends zusammen weg. Natürlich hatte jeder auch noch weitere Kontakte, aber die drei waren füreinander die wichtigsten Freunde. Zumindest Andrea und Martin empfanden das so. Das soziale Leben Melittas behielt für die beiden Männer immer einige Geheimnisse, die sie auch durchaus zu pflegen schien. Natürlich waren sowohl Martin als auch Andrea am Anfang bis über beide Ohren in Melitta verliebt; und Andrea glaubte sich am Ziel aller Träume, als ihn Melitta nach einer Party mit in ihr Appartement im Studentenwohnheim nahm und mit ihm schlief. Aber schon am nächsten Morgen, als er beim Frühstück in seinem Glücksdelirium begann, gemeinsame Pläne zu schmieden und vom Zusammenziehen zu reden, machte sie unmissverständlich klar, dass für sie Sex und „feste Beziehung“ zwei Dinge waren, die nichts miteinander zu tun hatten. Andrea sei einer ihrer besten Freunde, und sie habe auch Lust, manchmal mit ihm zu schlafen, aber sie wolle frei bleiben
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