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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger
Autoren: Ilse Maria Dries
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Macht, die ihn in den Wahnsinn treiben wollte. Vielleicht hatte die Mafia der Getränkehändler etwas dagegen, dass er auch noch Bücher verkaufte, und die Buchhändler, dass seine mageren Umsätze mit Literatur durch einen im Vergleich mit dem Literaturgeschäft florierenden Handel mit Bier- und Wasserkästen aufgebessert wurden. Er konnte sich zwar kaum vorstellen, wie der Feind die Handlungen der vielen Stammkunden koordinierte, und vor allem, zu welchem Zweck: Denn was Andrea mit der genialen Geschäftsidee, eine Buchhandlung mit einem Getränkemarkt zu kombinieren, einnahm, reichte gerade aus, um auf gehobenem Studentenniveau zu leben. Und ansonsten waren auf ihn allenfalls ein paar Typen aus der Literaturszene wütend, die er während seiner Literaturbetriebsphase kritisiert hatte (oder eher beleidigt, wie Andrea zugeben musste). Aber er konnte sich auch nicht vorstellen, dass sich ausgerechnet Literaten zu einer logistisch derart anspruchsvollen gemeinsamen Aktion würden aufraffen können. Nein, die Verschwörungstheorie war unsinnig, weil es kein Motiv für eine Verschwörung gab. Allerdings: Andreas Freund Martin meinte, es sei ja gerade das Bezeichnende an Verschwörungsgeschichten, dass die Motive der Verschwörer erst ans Licht kommen, wenn alles vorbei sei. Doch Martin wusste das auch nur aus Büchern und hatte keine Ahnung von echten Verschwörern.
     
    Falls es eine Verschwörung geben sollte, war jedenfalls Gruber ein zentraler Teil davon. Herr Gruber, wie er ächzend mit einem Bierkasten in jeder Hand aus dem Laden schwankte und dabei wie üblich drohte, das nächste Mal sein Bier bei einem Heimdienst zu bestellen, der ihm die Kästen vor die Wohnungstür stellen würde. Andrea ignorierte diese Drohung regelmäßig: Geizig, wie Gruber war, würde er vor den zusätzlichen Kosten des Heimdienstes zurückschrecken, zumindest solange er, wegen eines Bandscheibenleidens frühverrentet, kräftig genug war, zwei volle Bierkästen auf einmal zu tragen.
     
    Das Telefon läutete. Der Versicherungsheini. Andrea schilderte ihm, was geschehen war, und der Heini quengelte ein wenig herum wegen der fehlenden Alarmanlage. Er sei sich nicht sicher, ob „sein Institut“ den Schaden in voller Höhe werde regulieren können. Bei diesen Worten brach Andrea in Gelächter aus, und der Versicherungsheini lachte mit. Eigentlich hieß er Heinrich, und er war ein ziemlich netter Kerl, den Andrea seit dem Studium kannte. Er hatte nach zwei Semestern das Philosophiestudium geschmissen, weil sein Vater gestorben war und er dessen Versicherungsagentur übernahm. Wenn er und Andrea etwa einmal im Jahr zusammen weggingen, räsonierte Heini immer darüber, ob diese Entscheidung sein Glück oder sein Pech gewesen war. Andreas Text war dann immer: „Schau her, ich habe ein paar Jahre länger studiert und bin trotzdem nur Getränkehändler geworden.“ Für Heini schien dies ein echter Trost zu sein; ein weiterer war sein geliebter Fuhrpark, bestehend aus einem 5er BMW (für Kundenbesuche), einem Mercedes Cabrio (für Ausflüge und die Leopoldstraße) und einer Moto Guzzi für sonnige Sonntage. Heini wusste, dass weder Andrea noch Martin sich jemals so etwas würden leisten können.
    Nachdem ihr Lachen das „Versicherungsagent-und-Kunde“-Spiel beendet hatte, versprach Heini, ein Schadenberichtsformular zu schicken, und Andrea versprach, nochmals intensiv über eine Alarmanlage nachzudenken. Dann rief Andrea einen Glaser in der Gegend an, den er mit viel Überredungskunst und der Aussicht auf Freibier dazu brachte, in der Mittagspause die Tür zu holen und noch am Nachmittag zu reparieren.
     
    Seufzend ließ sich Andrea endlich auf einen Stuhl plumpsen und legte die Beine auf den Tisch. Er hasste Stress, und das, was heute Morgen von ihm verlangt worden war, war entscheidend zu viel. „Grenzphlegmatiker“ hatte ihn Nikki mal genannt. Vielleicht war er das. Er hatte jedenfalls kein Problem damit. Ein Problem war für ihn nur, wenn er aus der Ruhe gebracht wurde. Das war dann Stress. Nikki behauptete, bei ihm fange der Stress schon da an, wo sie erst anfange, warmzulaufen fürs normale Tagesgeschäft. Martin verwies darauf, dass Stress einer der Begriffe sei, den jeder anders definiere, weil jeder etwas anderes als anstrengend erlebe. „Wie praktisch“, hatte Nikki darauf nur gesagt.
    Schon beim bloßen Denken an Nikki wurde es Andrea warm im Bauch. Und in den Regionen etwas darunter. Er fingerte die knitterige Visitenkarte
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