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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger
Autoren: Ilse Maria Dries
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und auf keinen Fall „die Hälfte eines bescheuerten langweiligen Paares“ abgeben. Andrea hielt dagegen, dass sie ja nicht langweilig und bescheuert zu werden brauchten, aber sie beendete die Diskussion mit einem kategorischen „alle Paare sind langweilig“.
    Wenig später erfuhr Andrea, dass sie auch mit Martin und mit wem weiß noch geschlafen hatte. Er war natürlich rasend eifersüchtig, und mehrere Wochen lang herrschte zwischen ihm und Martin Funkstille. Schließlich rief sie Melitta zu einer „Aussprache“ zusammen. Sie meinte, es sei ihre Sache, mit wem sie schlafe, und sie beide seien gottverdammte Spießer, wenn sie sich einbildeten, Besitzansprüche anmelden zu können. Sie werde nie mit einem von ihnen „ein Paar gründen“, würde aber gerne weiterhin ab und zu mit ihnen Sex haben. Martin und Andrea versöhnten sich wieder, Sex mit Melitta fand weiterhin statt, war aber kein Thema mehr.
    Nach dem Studium verlor Andrea Melitta für ein paar Jahre aus den Augen. Sie bekam einen Job bei einem Hamburger Verlag. Am Anfang schrieben sie sich noch häufig, dann immer seltener, schließlich kam eine Einladung zu Melittas Hochzeit mit einem Hans-Günther zur Stetten, einem erfolgreichen Medienanwalt. Weder Martin noch Andrea fuhren hin. Keiner von ihnen schickte eine Glückwunschkarte. Ab da hörten sie lange Zeit nichts mehr von ihr, bis sie vor drei Jahren wieder in München auftauchte. Schön wie immer, im Businesskostüm und – soweit Andrea das beurteilen konnte – perfekt gestylt, stand sie plötzlich in seinem Laden. Trotz der vielen Jahre, trotz aller Veränderungen war es, als ob sie sich gestern zuletzt gesehen hätten: Nach einer kurzen Verlegenheit war sofort die alte Vertrautheit wieder da. Ihren Mann hatte sie inzwischen „abgewickelt“, die Scheidung hatte ihr einen gewissen Wohlstand beschert: „Gütergemeinschaft“, erklärte sie, „auch Anwälte machen Fehler, wenn sie verliebt sind.“ Sie war nun Leiterin Medienentwicklung bei UPB Plank, einem internationalen Verlags- und Medienkonzern. Ihren Job nahm sie einerseits sehr ernst, andererseits gar nicht, und es war schwer, sie diesbezüglich einzuschätzen. Sie konnte beispielsweise auf die Frage nach ihrem Job sagen, sie entwickle Medien, die kein Mensch brauche. Als Andrea aber einmal einen ähnlichen Witz machte, wurde sie bitterböse. Ansonsten war Melitta ein Kontaktgenie, kannte immer alle möglichen Leute, und zwar genau die richtigen. Manchmal stellten sich diese Richtigen auch als die Falschen heraus, was aber Melittas grundsätzliches Vertrauen in die Menschheit nur kurzfristig erschüttern konnte. Andrea hatte sie manchmal um die Leichtigkeit beneidet, mit der sie Menschen kennenlernte und dadurch auch beruflich weiterkam. Bei ihrem Verlag war sie jedenfalls ziemlich einflussreich und wurde sehr gut bezahlt, während Andrea und Martin eher in den unteren Einkommensklassen herumkrebsten.
     
    4
    Kurz vor Ladenschluss kam Gust Wagner herein, ein frühpensionierter Ex-Mitarbeiter der Münchner Wach- und Schließgesellschaft, der drei Stockwerke über dem Laden wohnte und öfter auf einen Schwatz und eine Halbe vorbeischaute.
    „Hab’s schon gehört, dass bei dir eingebrochen worden ist“, rief er fröhlich schon in der Tür. „Weißt schon, wer’s war?“
    Andrea zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ist ja auch egal, ist ja nichts Großes weggekommen. Nur ein Buch, das mir Martin mitgebracht hatte.“ Er gab Gust eine Kurzfassung der Ereignisse des Tages, und schloss mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Vergessen wir’s einfach.“
    „Aber die Polizei ist doch da gewesen, oder?“, fragte Gust.
    „Ja, die halten ein paar Penner für die Einbrecher, die die Gelegenheit genutzt und sich ein paar Bier geholt haben. Ich glaube eher, dass es jemand anderes gewesen ist. Aber egal. Magst ein Bier?“
    Gust schüttelte den Kopf. „Muss noch zum Dienst.“ Er sprang ab und zu für ehemalige Kollegen ein, übernahm einen Nachtdienst oder einen „Security-Einsatz“. „Und du musst herausfinden, wer bei dir eingebrochen ist. Die Polizei kümmert sich nicht. Für die ist das ein kleiner Fisch.“
    „Ich will meine Ruhe. Das war heute schon genug Stress. Ich möchte das einfach nur vergessen.“
    „Das geht nicht“, sagte Gust ruhig. „Man kann nicht andere einfach hereinspazieren und Zeug kaputt schlagen lassen, um dann nichts zu tun. Da wirst du zum Objekt, bist kein Subjekt mehr. Gibst deine Selbstbestimmung
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