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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten
Autoren: Magdalen Nabb
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sterben wollen, an dem Seerosenteich, wo er sich immer so wohl gefühlt hat. Aber soweit war er nicht gekommen. Er muß aus Versehen von dem Weg, der in den Garten hinunterführt, abgekommen und auf die Speiseterrasse geraten sein.«
    »Zeig mir die Stelle.«
    Der Junge wollte nicht hinaus, aber der Maresciallo bestand auf seinem Wunsch. So sehr auch ihm der Regen zuwider war, es mußte sein und zwar bevor der Staatsanwalt, der Capitano oder der Sekretär zurückkamen und Giorgios Geschichte unterbrechen konnten. Ihre Schritte knirschten auf dem nassen Kies, und feuchte Blätter streiften ihre Schultern, als sie schweigend unter der Pergola entlanggingen. Vor der offenen Speiseterrasse machten sie halt. Zu ihrer Rechten reckte eine triefnasse Statue in wallenden Marmorgewändern eine Hand so gebieterisch gen Himmel, als wolle sie dem Regen oder sonst etwas Einhalt gebieten. Die glänzenden Lorbeerblätter hinter ihr nickten tropfend.
    »Da hat er gelegen – wie eine überfahrene Katze, die man auf der Straße verrecken läßt. Der Regen prasselte auf ihn nieder. Der Rollstuhl war umgekippt, aber ich sah, daß er in Fahrtrichtung zur Limonaia gestanden hatte. Verstehen Sie, was das heißt? Er hat alles mit angesehen.«
    »Ja.« Die großen Tore der Limonaia standen offen. Es war eine ziemliche Entfernung, aber man braucht keine Gesichter auszumachen, um Personen, die einem vertraut sind, zu erkennen. Die eigenen Freunde. »Ja, er hat alles gesehen.«
    »Danach, als ich mich in meinem Zimmer verkrochen hatte, während sie… sich an ihm zu schaffen machten, habe ich mir die ganze Zeit einzureden versucht, daß er eine seiner kindischen Phasen gehabt hätte, wie damals, als er schon einmal allein herausgekommen war und so lachte, weil er sich die Füße naßgemacht hatte. Aber so war es nicht. Er wußte, daß er todkrank war. Und er wußte, daß ich fort war. Er muß seine Glocke mitgenommen haben, denn sie ist verschwunden. Er muß etwas gehört haben. Die Schmerzen ließen ihn nicht schlafen, und als er hinauskam, muß er sie gesehen haben. Seine Freunde. Ich weiß, daß sein Verstand klar war in dieser Nacht, denn um aus einem Rollstuhl aufzustehen, den man noch dazu nur mit einer Hand bewegen kann, muß man die Fußstützen hochklappen und die Bremsen anziehen. Das hat er alles ganz richtig gemacht. Er starb im Stehen, während er seine Freunde beobachtete. Im Fallen muß er sich an der linken Armstütze festgehalten haben. Man sieht noch die Kratzer an der Seite, wo er mitsamt dem Rollstuhl umgestürzt ist. Als ich ihn fand, umklammerte seine Hand immer noch die Lehne. Die Glocke habe ich nicht gefunden, es war zu dunkel. Und er war ganz steif und durchnäßt.«
    »Hast du ihn berührt?«
    »Nur am Hals nach dem Puls gefühlt, aber ich wußte… und seine Hand, die linke Hand, die wollte die Stuhllehne einfach nicht loslassen. Dann habe ich noch nach seinen Augen getastet. Sie standen offen, und es regnete hinein. Also habe ich sie zugedrückt.«
    »Du hast nicht versucht, ihn dort wegzuschaffen?«
    »Nein. Ich wußte, er war zu schwer für mich. Selbst als er noch lebte, hätte ich ihn nicht allein tragen können. Ich bin rüber zur Limonaia und habe ihnen Bescheid gesagt. Sie trugen gerade ein Gemälde weg, und ich glaube, sie waren furchtbar wütend, weil ich sie entdeckt hatte. Sie ließen mich einfach stehen, während sie flüsternd beratschlagten, was zu tun sei. Ich hatte selber Angst, aber sie waren richtig in Panik. Sie sagten, ich solle zu Bett gehen und am nächsten Morgen wie immer um halb acht in Sir Christophers Zimmer kommen.
    Sie brauchten sehr lange, bis sie ihn ins Haus geschafft hatten, und dann laborierten sie auch drin noch ewig an ihm herum. Ich zog mir die Decke über den Kopf, um es nicht zu hören, aber ich lag die ganze Nacht wach. Ich war ganz steif und kalt und naß, denn ich war ins Bett gegangen, ohne mich auszuziehen. Nur die Schuhe hatte ich abgestreift.«
    »Du bist auch jetzt halb erfroren«, warf der Maresciallo ein. »Komm wieder ins Haus.«
    Das Zimmer wirkte noch dunkler, seit der Himmel draußen aufgeklart hatte.
    »Kannst du nicht noch irgendwo Licht machen? Ah, na Gott sei Dank. Du solltest dir ein trockenes Hemd anziehen.«
    »Ist schon gut.«
    Der Maresciallo öffnete die Tür zum Korridor, der ins Bad und zu Giorgios Kammer führte. »Wieviel konntest du hören von dem, was sich hier abspielte, als du im Bett lagst? Hast du mitbekommen, was sie anstellten?«
    »Ich denke
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