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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten
Autoren: Magdalen Nabb
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Sekretär stand.
    »Das sind seine Großeltern mütterlicherseits. Sie waren Engländer. An dem Tag, an dem ich ihm von meinem Vater erzählte, sagte er, sein Vater habe nie viel mit ihm gesprochen. Ich glaube, er unterhielt sich mit mir, weil sonst nie jemand da war, mit dem er hätte reden können, außer über Geschäftliches. Nach dem schweren Schlaganfall kamen der Sekretär und der Anwalt und der Mann, der manchmal kommt, um sich die Bilder und die Statuen anzusehen, nur noch in sein Zimmer, wenn er etwas unterschreiben mußte. Wahrscheinlich lag es daran, daß er nicht mehr richtig sprechen konnte. Aber ich habe ihn meistens verstanden. Alle Wörter konnte ich zwar auch nicht erraten, aber ich wußte immer, was er wollte. Ja, und dann haben sie sein Bett nach unten geschafft, wegen der Lärmbelästigung im Obergeschoß.«
    »Was denn für Lärm?«
    »Wir mußten ein paar von den Statuen und Bildern herunterholen und in die Limonaia schaffen, weil die einen Zugang zur Straße hat und die Sachen abtransportiert werden sollten. Sie sagten, sie müßten restauriert werden.«
    »Verstehe. Und du hattest sicher den Verdacht, daß das nur ein Vorwand war und sie Sir Christopher bestohlen haben. Aber deshalb brauchst du dich jetzt nicht zu grämen. Ihm kann es ja nicht mehr weh tun.«
    »Darum geht es nicht. Das Problem war, daß er mich brauchte, aber dauernd mußte ich ihnen helfen. Jeden Morgen fuhr ich ihn in seinem Rollstuhl hinaus auf die Terrasse oder in den Garten seiner Mutter und ließ ihn dort stehen… sie zwangen mich dazu. Er war nirgends so ruhig wie dort unten im Garten, wo er stundenlang auf den Seerosenteich blicken konnte. Aber wenn ich ihn nach dem Mittagessen im Haus allein lassen mußte, dann hat er sich immer sehr aufgeregt. Man hat einen hübschen Blick von diesem Zimmer aus, aber es ist nicht besonders hell. Dadurch ist es zwar kühler, aber doch auch sehr trist. Und er konnte nichts tun, weder lesen noch… gar nichts eben. Nur den ganzen Nachmittag im Rollstuhl sitzen. Es stimmt auch nicht, daß ich ihm vorgelesen habe. Ich hätt’s gern getan, aber sie sagten, sie brauchten mich… und… Sie werden das niemandem weitersagen? Er hatte große Angst, daß sein Verstand ihn im Stich lassen würde. Das darf niemand wissen, und sie wollten auch nicht, daß es herauskommt. Dauernd nötigten sie ihn, irgendwas zu unterschreiben. Sachen, die er nicht mehr lesen konnte, und er war auch nur noch selten bei klarem Bewußtsein. In solchen Momenten weinte er. Ich glaube, weil er nicht sprechen konnte. Sie können sich nicht vorstellen…«
    »Doch. Meiner Mutter erging es nach ihrem Schlaganfall genauso. Sie weinte immerzu und verlangte, man solle sie heimbringen. Über sechzig Jahre hatte sie in ihrem Haus gewohnt, aber wahrscheinlich dachte sie in diesen letzten Wochen an ihre Kindheit.«
    »Wenn Sir Christopher mich um etwas zu bitten versuchte, dann wollte er meistens, daß ich ihn hinausbrachte zum Seerosenteich. Und wenn ich ihm erklären wollte, daß es zu heiß sei draußen, dann verstand er mich nicht, sondernd streckte seinen gesunden Arm aus und zeigte auf das Bild und versuchte etwas zu sagen. Weil da auch Seerosen drauf sind. Ein Monet. Er hing sehr daran. Ich glaube, wenn ich ihn allein lassen mußte, hat er stundenlang dieses Bild angeschaut. Oft habe ich mich bei den anderen unter dem Vorwand weggeschlichen, daß ich ihn zur Toilette bringen müßte oder so, nur damit ich zwischendurch einmal nach ihm sehen konnte. Und dann saß er manchmal noch genauso da, wie ich ihn zwei oder drei Stunden vorher verlassen hatte, aber er war nicht eingeschlafen, sondern starrte nur unverwandt auf das Bild. Oder an die Wand. Einmal fand ich ihn da drüben. Er versuchte, mit der Linken die Verandatür zu öffnen, aber der Riegel geht ein bißchen schwer, und man muß ihn im Stehen runterdrücken. Es war ganz dunkel im Zimmer, weil ein Gewitter heraufzog, genau wie heute, und er schluchzte, vielleicht vor Enttäuschung und weil er so schwach war, oder auch aus Angst. Von da an habe ich immer eine Lampe bei ihm brennen lassen. Eines Tages schaffte er es, sich an dem Messingknauf am Fensterriegel hochzuziehen und mitten in einem Gewittersturm die Terrassentür aufzuklinken. Er fuhr in seinem Rollstuhl nach draußen, landete in einer Regenpfütze, und als ich ihn fand, waren seine Schuhe und Strümpfe patschnaß. Er kicherte bloß vor sich hin. Manchmal war er wie ein Kind.«
    Der Maresciallo trat an die
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