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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten
Autoren: Magdalen Nabb
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Terrassentür. »Er konnte den Rollstuhl also allein bewegen?«
    »Oh, ja. Der ist speziell für Linkshänder gebaut. Er mußte nur diese Lenkradgabel bedienen. Das da sind die Kratzer, wo… die Schrammen…«
    »Sprich nur weiter.«
    »Sie sagten: ›Nimm dir den Abend frei. Geh runter nach Florenz.‹ Es war ein Befehl. Ich war tatsächlich über einen Monat nicht mehr ausgewesen. Der Sekretär sagte, er würde bei Sir Christopher bleiben, und als ich ging, war er auch wirklich hier bei ihm im Zimmer. Dann bin ich mit dem Bus in die Stadt gefahren. Viel habe ich nicht unternommen – eine Pizza gegessen, ein bißchen gebummelt. Ich habe noch nicht allzuviel von Florenz gesehen, und in letzter Zeit war ich dran gewöhnt, nur noch von hier oben auf die Dächer hinunterzuschauen. An dem Abend kam mir die Stadt ganz sonderbar vor, vielleicht weil es so schwül und stickig war dort unten, oder wegen der Flutlichter und all der Touristen, die in den Straßen flanierten… auf der Piazza della Signoria war sogar ein Feuerschlucker… ich weiß nicht, irgendwie kam mir alles so unwirklich vor. Und immer wieder ging ein Wetterleuchten über den Himmel. Ich hatte ein paar Bier zu meiner Pizza getrunken, also war ich vielleicht ein bißchen beschwipst, aber auf jeden Fall war ich sehr nervös.«
    »Und warum warst du nervös? Hattest du den Eindruck, daß es ihm schlechter ging an diesem Abend?«
    »Ja. Er hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Und er wollte sich nicht von mir anziehen lassen und mochte auch nicht nach draußen. Zur Frühstücksund zur Mittagszeit hatte er sich weinend an meinen Arm geklammert und versucht, mir zu sagen, daß etwas nicht in Ordnung sei. Aber alles, was er herausbrachte, war: ›Schmerz.‹ Als ich ihn fragte, wo er Schmerzen habe, da weinte er bloß. Ich glaube, er wußte es nicht. In der rechten Seite hatte er kein richtiges Gefühl mehr. Sehen Sie da am Rollstuhl die gepolsterte Stütze für den rechten Arm? Einmal fand ich ihn dort neben dem Tisch. Seine Hand, die an der Stütze festgeschnallt wurde, damit sie nicht herunterrutschen und er sich verletzen konnte, war unter der Tischkante eingeklemmt. Er schwitzte vor Schmerzen, aber er zog die Hand nicht raus, weil er nicht begriff, wo der Schmerz herkam. An dem Tag habe ich dem Sekretär gesagt, daß er ernstlich krank sei. Zweimal habe ich es ihm gesagt. Aber der Doktor kam nicht. Ich weiß nicht mal, ob er ihn angerufen hat.«
    »Bestimmt nicht. Aber nun erzähl mir, was passiert ist, als du aus der Stadt zurückkamst.«
    »Ich wußte, sie wollten, daß ich möglichst lange wegblieb, aber es fing an zu regnen, und außerdem geht um zehn nach eins der letzte Bus. Als ich von der Bushaltestelle kam, sah ich Licht in der Limonaia, und draußen parkte ein dreirädriger Lieferwagen. Da begriff ich, was für eine Dummheit ich begangen hatte. Ich hatte sie gewarnt, daß er sterben würde, und darum beeilten sie sich, die Sachen wegzuschaffen. Wenn ich nichts gesagt hätte… Ja, ich weiß, er wäre trotzdem gestorben, aber nicht so, nicht… Nein! Nein, ich hätte – wäre ich doch nur…«
    »Schon gut. Ist ja gut. Beruhige dich. Tief durchatmen. Atmen! So ist’s besser.«
    »Sie wollten mit allem fertig sein, wenn er starb, verstehen Sie, damit ihnen keiner was nachweisen konnte, wenn die Herren, die jetzt dort draußen sind, kommen und nach der Inventarliste fragen und alles überprüfen würden. Ich sage mir immer, wenn ich nur daran gedacht hätte, Jim einzuweihen… er gehört nicht zu denen, die alle Albaner für kriminell halten. Er war immer gut zu mir. Wenn ich es ihm gesagt hätte…«
    »In deiner Lage hättest du gar nichts tun können. Also quäl dich nicht unnötig.« Wie leicht sich das sagte.
    »Ja, tut mir leid, ich weiß, Sie haben recht. Jim ließ mich herein, ohne aufzustehen. Er erkannte meine Stimme und drückte einfach auf den Knopf. Ich kam durch die Küche ins Haus, ohne daß sie mich bemerkten. Ich sah sie unten in der Limonaia, den Sekretär und den Anwalt und die beiden Träger, die immer kamen. Ich habe mich dann durch den Dienstbotengang hier hereingeschlichen. Ich dachte, er hätte vielleicht nach mir geläutet, weil er mal raus mußte, während ich weg war. Aber er war gar nicht im Zimmer. Ich hatte seinen Rollstuhl links neben dem Bett stehenlassen, aber der war auch nicht da. Die Terrassentür stand offen. Es regnete immer noch sehr stark. Ich wußte sofort, wo er sein könnte. Vielleicht hatte er dort
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