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Nacht

Nacht

Titel: Nacht
Autoren: Richard Laymon
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presste er ans Glas, aber die Nase, die Brust und der Bauch berührten die Scheibe nicht. Wohl aber die Spitze seines noch immer erigierten Penis, die wie ein kleines platt gedrücktes Gesicht mit nur einem Auge aussah.
    »Okay«, sagte Tony zum Anrufbeantworter. »Wenn du es so haben willst. Ich rufe dich nicht mehr an. Ach, übrigens, ich bin umgezogen. Nach allem, was passiert ist, habe ich es in der alten Wohnung nicht mehr ausgehalten.« Es klang, als kämpfte er mit den Tränen. »Ich gebe dir meine Nummer und du kannst mich anrufen, wenn du willst. Wenn nicht, versteh ich’s auch.«
    Während Tony seine Telefonnummer durchgab, trat der Mann draußen einen Schritt von der Tür zurück, griff nach dem Knauf und zerrte daran.
    Ich riss den Telefonhörer mit einer Hand hoch und schrie:
    »Tony!«
    Mit der anderen Hand schlug ich nach dem Lichtschalter.
    Die Lampe bei der Couch ging an.
    Die plötzliche Helligkeit tat meinen Augen weh, ließ mich blinzeln und löschte das Bild des Fremden draußen im Mondschein aus.
    Falls er überhaupt noch da war.
    Er musste wohl weggesprungen sein, als es plötzlich hell wurde, aber als sich meine Augen langsam an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah ich, wie er zurückkam und wieder ganz nah an die Scheibe trat.
    Tony sagte etwas, aber ich konnte mich nicht richtig darauf konzentrieren. Offenbar hielt er mich für Judy.
    Der Fremde draußen glotzte mich an und drückte sich dabei so nahe an die Scheibe, dass sein Körper wie ein grotesker, flach gedrückter Fisch aussah – oder wie eine Kreatur aus einem Horrorfilm, ein Alien, der versucht durch eine Glasscheibe zu diffundieren.
    »HALLO!«, schrie ich ins Telefon. »RUFEN SIE DIE POLIZEI! BEI MIR WIRD GERADE EINGEBROCHEN!«
    »Eingebrochen?«, fragte Tony. »Wieso?«

    Der Fremde hielt seinen Körper weiter gegen die Scheibe gepresst und verdrehte ihn in den seltsamsten Windungen, während er mit seiner Zunge an dem Glas leckte. Irgendwie tat er so, als sei ich die Fensterscheibe, und von meinem Standpunkt aus betrachtet stimmte es sogar, denn mein Spiegelbild lag genau über ihm.
    Er konnte das allerdings nicht sehen und brauchte es auch gar nicht, weil er mich ja in natura betrachten konnte.
    »BEI MIR IST EIN EINBRECHER! 3838 WOODSIDE LANE. ER
    VERSUCHT, DURCH DIE TÜR ZUM GARTEN HEREINKOMMEN!«
    »Wer spricht denn da? Judy? Bist du das?«
    »ES IST EIN MANN, WEISS, UNGEFÄHR ZWANZIG, EINS ACHTZIG
    GROSS, ACHTZIG KILO SCHWER, KURZE BLONDE HAARE!«
    »Ist das wirklich wahr? Ein Einbrecher?«
    »JA! ER IST NACKT UND VERSUCHT ZU MIR REINZUKOMMEN! SIE
    MÜSSEN SOFORT DIE POLIZEI VERSTÄNDIGEN!«
    »Ach du Scheiße«, murmelte Tony.
    »BEEILEN SIE SICH! BITTE!«
    »Soll ich auflegen und die Polizei anrufen?«
    Ich senkte den Hörer und schrie den Mann an der Glastür an:
    »DIE POLIZEI IST GLEICH DA, DU PERVERSES SCHWEIN!«
    Ich wusste genau, dass er mich hören konnte, aber es schien ihn nicht zu kümmern, denn er war in seiner eigenen Welt. Einer Welt aus nackter Haut – und Glas – und mir.
    Ich sah auf mein Spiegelbild, hinter dem er sich in ekstatischen Zuckungen wand und an der Scheibe leckte. Es sah aus, als würde ein Gespenst von einem verrückten, sabbernden Clown missbraucht.
    Immer wieder presste er sich an mich, streichelte mich, küsste mich, rieb sich an mir, und dann wurde er auf einmal starr und begann so heftig zu zucken, dass die Glastür in ihrem Rahmen zu rattern begann. Einen Augenblick lang dachte ich, er hätte einen epileptischen Anfall, aber dann kapierte ich, was es wirklich war.
    Angewidert drehte ich den Kopf weg und holte tief Luft. Ich drückte auf den Lichtschalter, das Zimmer versank wieder in Dunkelheit, und die Tür hörte auf zu vibrieren.
    Dann blickte ich wieder zur Tür.
    Der Fremde machte ein paar Schritte rückwärts, drehte sich um, sprang in den Pool und schwamm los.
    Während ich ihm dabei zusah, hörte ich aus dem Telefonhörer leise und wie aus weiter Ferne Tonys Stimme.
    Der Fremde hatte das andere Ende des Pools erreicht, stieg heraus und schnappte seine Shorts. Aber er zog sie nicht an, sondern behielt sie in der Hand und rannte nackt quer über den Rasen auf den Waldrand zu.
    Ich hob den Telefonhörer ans Ohr.
    Tony klang aufgeregt. »Hallo! Hallo! Was ist los?«
    »Da bin ich wieder«, sagte ich.
    »Was ist passiert? Was ist denn los?«
    »Ich glaube, ich bin noch mal davongekommen. Er ist gerade weggelaufen.«
    »Rufen Sie lieber die Polizei.«
    »Er glaubt, dass ich das
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