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Nacht

Nacht

Titel: Nacht
Autoren: Richard Laymon
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in der Vergangenheit versinkt.
    Wenn ich mich nicht beeile und sie so aufschreibe, wie sie passiert ist, wird sie sich in meiner Erinnerung noch mehr verändern als ohnehin schon.
    Ich brauche Aufzeichnungen darüber, wie sich das alles wirklich zugetragen hat. In allen Einzelheiten. Nur so kann ich es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ganz genau nacherleben.
    Minutiöse Aufzeichnungen aller Ereignisse sind auch wichtig, falls man mich wirklich einmal vor Gericht stellen sollte. Dann würden sie mir helfen, die Wahrheit zu rekonstruieren und mir dadurch möglicherweise eine Verurteilung ersparen.
    Oder auch nicht.
    Vielleicht wäre es besser, diese Aufzeichnungen zu verbrennen.
    Egal, jetzt fange ich einfach mal an.

    Es fängt an
    Am Anfang dieses Buches habe ich ja schon erwähnt, dass ich Alice heiße (aber nicht wirklich). Letztes Jahr, als sich das alles zugetragen hat, war ich sechsundzwanzig Jahre alt und wohnte in einer hübschen kleinen Wohnung über der Garage im Haus meiner besten Freundin.
    Sie heißt Serena.
    Serena hat alles, was man sich wünschen kann: Ein großes Haus am Waldrand, einen Ehemann namens Charlie und zwei Kinder: die vierjährige Debbie, die ebenso hübsch ist wie ihre Mutter, und einen einjährigen Jungen mit Namen Jeff.
    Manche Leute haben eben richtig Glück.
    Damit meine ich Serena, nicht mich.
    Eigentlich kommt es ja nur darauf an, dass man die richtigen Gene hat, und das ist bei Serena eindeutig der Fall. Damit will ich sagen, dass sie von Geburt an nicht nur hübsch, sondern auch intelligent ist. Wenn man über diese beiden Eigenschaften verfügt, ist alles andere ein Klacks. Und so hat Serena ganz selbstverständlich einen gut aussehenden, wohlhabenden Ehemann mit einem tollen Haus abbekommen und mit ihm zwei total süße Kinder gekriegt.
    Ich hatte mit meinen Genen leider nicht so viel Glück.
    Meine Eltern sind Versager. Grundanständige, hart arbeitende Leute, aber Versager. Nicht, dass ich es ihnen zum Vorwurf mache.
    Sie können nichts dafür, denn ihre Eltern waren auch schon Versager, die ebenfalls nichts dafür konnten. Genauso wenig, wie ich etwas dafür kann, dass ich so bin wie ich bin.
    Deshalb will ich mich auch gar nicht beschweren.
    Gegen seine Gene ist man nun mal machtlos, man kann nur das Beste aus dem machen, was man in die Wiege gelegt bekommen hat.
    Und das habe ich getan.
    Weil das hier keine Autobiografie werden soll, will ich Sie nicht mit Einzelheiten aus meiner Jugend langweilen. Was Sie hier zu lesen kriegen, ist eine Geschichte über das, was nach der Ankunft des Fremden hier geschehen ist, und deshalb fange ich auch mit diesem Abend an.
    Wie schon gesagt, ich wohnte damals in dieser kleinen Wohnung über Serenas Garage und zahlte auch jeden Monat Miete dafür.
    Serena tat zwar alles, um mir das auszureden (sie brauchte das Geld wirklich nicht), aber ich wollte es so. Ich hatte zwar gerade keinen Job, aber ich zahlte die Miete lieber aus meinem Ersparten als irgendetwas geschenkt zu bekommen.
    Selbst wenn man nicht wie eine Schönheitskönigin aussieht, sollte man doch seine Würde bewahren.
    Hoffentlich vermittle ich Ihnen jetzt nicht den Eindruck, dass ich ein trauriger, hässlicher Trampel bin.
    Das Schreiben ist vielleicht doch nicht so einfach, wie ich dachte.
    Besonders dann, wenn man etwas so darstellen will, wie es wirklich ist und seine Leser nicht an der Nase herumführen will.
    Tatsache ist, dass ich nicht hässlich bin und es auch nie war. Mein Gesicht reißt die Leute zwar nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hin, aber zum Wegschauen bringt es sie nun auch wieder nicht.
    Manche sagen, ich hätte ein »süßes Gesicht«, und andere meinen, ich wäre »ganz hübsch«.
    Das Adjektiv »schön« allerdings habe ich in Verbindung mit mir nur sehr selten gehört. Die, die es benutzt haben, waren entweder vor Liebe blind – wie meine Eltern –, oder aber sie wollten mich ins Bett kriegen.
    George Gunderson hat mich zum Beispiel »schön« und »echt super« genannt, aber Sie hätten George mal sehen sollen. Ich war vermutlich das einzige Mädchen in seinem traurigen Leben, das nicht laut schreiend vor ihm davongelaufen ist.

    Wie dem auch sei, ich bin weder schön noch »echt toll«. Ich habe ein ziemlich gewöhnliches, ganz nett aussehendes Gesicht, aber das war’s dann auch schon. Mein Haar ist von Natur aus braun, aber ich färbe es mir schon seit Langem blond. Meine Augen sind braun. So wie meine Zähne. Hihi. War nur ein Witz. Ich
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