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Nacht

Nacht

Titel: Nacht
Autoren: Richard Laymon
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nicht gewusst hatte, dass jemand im Haus war und mich dann durchs Esszimmer schleichen und den Säbel holen sah, wusste er es mit Sicherheit.
    Und er würde wissen, dass ich alleine war. Und vielleicht erkennen, was für eine Figur ich hatte und dass ich nur einen engen, seidig glänzenden Kimono am Leib trug.
    Wie das auf einen Mann wirkte, der ohnehin schon nackt und erregt war, konnte ich mir unschwer ausmalen.
    Vielleicht hatte er bisher nur in einem fremden Pool ein kleines Mitternachtsbad nehmen wollen. Aber wenn er mich so sah, kamen ihm vielleicht andere Gedanken …
    Unmöglich.
    Das konnte ich nicht riskieren.
    Ich hole den Säbel erst, wenn er hier einzubrechen versucht.
    Und so weit war es Gott sei Dank noch nicht. Vielleicht kletterte er nach seinem Bad aus dem Pool und verschwand wieder im Wald.
    Solche Leute gibt es.
    Und wenn er doch vorhat, hier einzubrechen?
    Ich ging zurück ins Wohnzimmer und achtete darauf, dass die Tür nur kurz offen war und möglichst wenig Licht vom Flur hineindringen konnte.
    Wegen der Helligkeit im Flur kam mir das Wohnzimmer jetzt sehr viel dunkler vor als vorhin.
    Von der Tür aus konnte ich den Teil des Pools, in dem der Fremde war, nicht sehen, und das beunruhigte mich. Also eilte ich zur Glastür.
    Dabei stieß ich mit dem nackten Fuß an den gläsernen Couchtisch.
    Das Geräusch kam mir so laut vor, als hätte ich mit einem Hammer auf den Tisch gehauen. Außerdem tat es furchtbar weh. Meine Zehen verkrampften sich, und Tränen stiegen mir in die Augen. Fast hätte ich vor Schmerz laut losgeschrien, aber ich biss die Zähne zusammen und stolperte nach rechts, wo ich rückwärts aufs Sofa fiel.
    Das Sofa kam ins Rutschen und stieß gegen die Wand. Ich riss das Bein hoch und tastete mit den Händen meinen Fuß ab.
    Im ersten Augenblick hatte es so wehgetan, dass ich dachte, mindestens zwei Zehen wären gebrochen, aber beim Abtasten schienen alle noch heil zu sein, und langsam ließ der Schmerz auch nach.
    Ich fragte mich, wo der Fremde jetzt wohl war.
    Aber ich wollte gar nicht mehr hinaussehen. Ich wollte auf dem Sofa bleiben. Obwohl ich nur halb auf dem Polster lag und mich mit meinem unverletzten Fuß am Boden abstützen musste, um nicht ganz herunterzurutschen, fühlte ich mich dort wohl.
    Vielleicht sollte ich mich richtig hinlegen und warten, bis der Mann den Pool verlassen hatte, dachte ich.
    Schließlich musste ich ja nicht an der Glastür stehen und ihm beim Schwimmen zusehen.
    Früher oder später würde er schon verschwinden.
    Oder hier einbrechen!
    Wenn er das versucht, hole ich den Säbel Wenn nicht, dann …
    Und wenn ich nicht höre, wenn er einbricht?
    Das Haus war so groß, dass man es nicht unbedingt mitkriegen musste, wenn sich jemand am anderen Ende an einem Fenster oder einer Tür zu schaffen machte.
    Und dann war da noch die Klimaanlage.
    Den Kompressor, der an der Außenwand des Hauses angebracht war, konnte man zwar nicht hören, dafür aber das Geräusch der Luft, die aus den Schlitzen an der Decke des Wohnzimmers kam. Es war eigentlich nicht mehr als ein ganz leises Säuseln, das man normalerweise kaum wahrnahm, aber jetzt kam es mir so laut vor wie das Heulen eines ausgewachsenen Sturms.

    Dann schalte doch die Klimaanlage einfach aus!
    Ich stand auf. Meine Zehen taten immer noch weh, aber nicht mehr so schlimm. Der Schalter für die Klimaanlage war im Flur.
    Vorhin hätte ich bloß hinlangen und ihn umlegen müssen. Zu dumm, dass ich nicht daran gedacht hatte, aber da hatte mich das Geräusch der Klimaanlage noch nicht gestört.
    Dann tu es eben jetzt!
    Ich humpelte zur Tür, legte die rechte Hand auf den Knauf und wünschte, ich hätte sie vorhin nicht zugemacht.
    Und wenn ich sie jetzt aufmache und er steht direkt davor?
    Ich stellte mir vor, wie er nackt, tropfnass und mit erigiertem Penis vor mir stand und mir dummdreist ins Gesicht grinste.
    Vielleicht hatte er ja sogar Charlies Säbel im Vorbeigehen von der Wand genommen und hielt ihn jetzt mit beiden Händen wie ein Samurai hoch über dem Kopf, um mich von oben bis unten genau in der Mitte zu spalten.
    Meine Fantasie quält mich gerne mit solchen Bildern.
    In Wirklichkeit war er vermutlich nicht einmal im Haus.
    Trotzdem kam es mir vor, als wäre mein rechter Arm plötzlich gelähmt. Ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden, die Tür zu öffnen.
    Und dann stellte ich mir vor, wie sich der Knauf in meiner Hand zu drehen begann, weil der Mann gerade versuchte, die Tür von der
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